Urteil des Monats: August 2014
  
"Auf die Plätze! Fertig! Los!"

Zugegebenermaßen zeichnen sich Urteile, deren rechtlicher Schwerpunkt im prozess- bzw. verfahrensrechtlichen liegt, oftmals durch eine gewisse Sperrigkeit aus, da der zur Entscheidung gestellte Sachverhalt in der Regel etwas unspektakulär ist.

Tatsächlich ist auch der in diesem Monat vorgestellte Sachverhalt eher simpel, dafür könnte die Entscheidung weitreichende Folgen für die gerichtliche Geltendmachung (und Abwehr) von Ansprüchen im internationalen Transportverkehr haben.

Den zugrunde liegenden Sachverhalt wollen wir sprachlich nicht unnötig aufbauschen, und stellen ihn daher aus Gründen der Übersichtlichkeit stichpunktartig dar:

Aug. 2007: Auftrag an niederländisches Transportunternehmen (sowie durch diesen Unterbeauftragung): Gütertransport von NL nach D.
Ende Aug. 2007: Entwendung eines Teils der Ladung aus nachts auf dem unbewachten Gelände des Empfängers abgestelltem LKW
Ende Aug. 2007: Schadensersatzklage des Absenders gegen seinen Vertragspartner auf volle Haftung vor deutschem Gericht
Jan. 2009: negatives Feststellungsurteil des Unterbeauftragten gegen seinen Auftraggeber (also den Vertragspartner des Absenders) vor niederländischem Gericht: Haftung lediglich in Höhe des Höchsthaftungsbetrags
März 2010: gerichtlicher Vergleich zwischen Absender und seinem Vertragspartner über 500.000,- €
Sept. 2010: Rückgriffsklage des Verkehrshaftungsversicherers gegen Unterauftragnehmer in Höhe der Vergleichssumme vor deutschem Gericht

Das mit der seit September 2010 anhängigen Klage befasste Gericht hatte das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Im Kern hatte sich der EuGH mit der Frage auseinanderzusetzen, ob eine in Deutschland erhobene Leistungsklage wie bisher auch dann zulässig sein sollte, wenn in einem anderen Vertragsstaat eine negative Feststellungsklage anhängig ist.

Im Ergebnis entschied der EuGH, dass eine Leistungsklage unzulässig ist, wenn über denselben Gegenstand bereits in einem anderen Vertragsstaat ein Feststellungsurteil ergangen sei. Dies ergebe sich bereits aus dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens in die Justiz und der Vermeidung von Parallelverfahren.

Die vorgestellte Entscheidung gewinnt an Brisanz durch die uneinheitliche Rechtsprechung in den einzelnen Vertragsstaaten zum qualifizierten Verschulden (und damit zum Wegfall der Haftungsbegrenzung) nach Art. 29 CMR. In der Regel tendieren deutsche Gerichte eher als Gerichte anderer Vertragsstaaten dazu, ein qualifiziertes Verschulden zu bejahen (so auch hier, wie sich aus der dargestellten Verfahrensgeschichte ergibt).

Während nach früherer BGH-Rechtsprechung jedoch eine Rückgriffsklage vor einem deutschen Gericht trotz negativer Feststellungsklage im europäischen Ausland möglich sein sollte, wird der Rückgriff suchende Transportversicherer in Zukunft ggf. versuchen, seine Ansprüche widerklagend im Feststellungsverfahren geltend zu machen.

Solange sich in den Vertragsstaaten keine einheitliche Rechtsprechung zum qualifizierten Verschulden herausgebildet hat, dürften viele Transportbeteiligte sowie deren Versicherer bestrebt sein, durch frühzeitige Klageerhebung ein ihnen aufgrund seiner gefestigten Rechtsprechung zum qualifizierten Verschulden günstiges Gericht für den gesamten Rechtsstreit "einzunehmen"; ein Wettlauf um den günstigsten Gerichtsstand beginnt.

Auf die Plätze! Fertig! Los!




Das hier besprochene Urteil ist in unserer Urteilsdatenbank mit folgenden Angaben zu finden:

Aktenzeichen:   C - 452/12
Datum:   19.12.2013
Link zur Urteilsdatenbank:   Urteil EuGH vom 19.12.2013 - Rechtssache C-452/12




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