Sichern von überbreiten Ladungen im Straßenverkehr
Aufsatz von Prof. Hermann Kaps

Erweiterte Sichtweise

Es besteht bei niedergezurrten überbreiten Ladungen gegenüber normalbreiten ein merklicher Vorteil darin, dass die beiden zusätzlichen Umlenkungen des Zurrmittels über die unteren Kanten der Ladungseinheit eine verstärkte sekundäre Sicherungswirkung entstehen lassen, welche die Primärwirkung deutlich übertrifft. Deshalb wird in der nachstehenden Abhandlung dargestellt, welche tatsächliche Sicherungswirkung gegen Rutschen und gegen Kippen quer zur Ladefläche von der Niederzurrung einer solchen überbreiten Ladungseinheit zu erwarten ist.

Dabei wird davon ausgegangen, dass sich die Ladung im Falle von extremen Belastungen, wie sie die Auslegungsbeschleunigungen der Richtlinien und Normen ergeben, ein wenig bewegt. Dieses „ein wenig“ bedeutet deutlich weniger, als sich eine direkt gezurrte Ladung bewegen muss, wenn die Zurrmittel im Auslegungslastfall ihre zugestandene „Lashing Capacity“ LC erreichen sollen.

Das heißt aber nicht, dass hier der Niederzurrung von überbreiten Ladungen das Wort geredet werden soll, denn im Anschluss daran werden erheblich wirksamere Direktzurrungen von überbreiten Ladungen vorgestellt.


Abbildung - Sichern von überbreiten Ladungen im Straßenverkehr

Bild 1: Niederzurrung einer überbreiten Ladungseinheit

Bild 1 zeigt die Niederzurrung einer überbreiten Ladung mit den Gurtabschnitten 1 bis 5 und den Umlenkstellen a bis d. Im Ausgangszustand, also nachdem der Gurt gespannt worden ist, herrschen in den fünf Gurtabschnitten durchaus unterschiedliche Kräfte. Die Verteilung dieser Kräfte hängt allein von der Position des oder der Spannmittel ab. Die größte Kraft wird in dem Abschnitt zu erwarten sein, in welchem das Spannmittel sitzt. Die übrigen Kräfte stufen sich nach jeder Umlenkung mit einem Faktor ab, den die bekannte Euler’sche Formel für den Reibungsverlust bei Umlenkung eines Seils oder Spanngurts liefert.

Umlenkfaktor :

   

e = Euler’sche Konstante (= 2,718281828…)
μG = Reibbeiwert zwischen Gurt und Ladung
α = Umlenkwinkel (Richtungsänderung) des Gurts an der Ladungskante [rad]

Kleine Abweichungen von dieser Euler’schen Verteilung, wie sie in [4] durch Messungen nachgewiesen worden sind, haben erkennbare Ursachen und können erst einmal vernachlässigt werden, um die grundsätzlichen Überlegungen nicht unnötig zu erschweren.

Die anfängliche Kraftverteilung, insbesondere die Vorspannkraft in den Gurtabschnitten 1 und 5, ist in einem Auslegungslastfall nicht entscheidend für die Sicherungswirkung. Alle praktischen Fahrversuche zeigen kleine Verformungen und/oder Bewegungen niedergezurrter Ladung, was ja auch als Argument für die Verwendung des Gleitreibbeiwerts im vereinfachten Rechenmodell vorgetragen wird – ob zu Recht, sei dahingestellt.

Rutscht also die in Bild 1 gezeigte Ladungseinheit in einer scharfen Kurvenfahrt einige Millimeter nach links, so werden die Gurtabschnitte 1 und 2 gedehnt und die Abschnitte 4 und 5 entlastet. Der mittlere Abschnitt 3 erfährt nur eine geringe oder gar keine Längenänderung. Diese Längenänderungen führen zu Kraftänderungen in den jeweiligen Gurtabschnitten. Sie werden aber wiederum durch die Euler’sche Kantenreibung begrenzt, indem die Kräfte in benachbarten Gurtanschnitten nicht unterschiedlicher sein können, als es der Faktor erlaubt, der zur dazwischen liegenden Umlenkung gehört.

Das klingt etwas kompliziert. Es führt aber letztlich dazu, das sich im Verlauf des Rutschens der Ladung sehr schnell eine neue Kraftverteilung im Gurt einstellt, die man durch Berechnung erfassen kann, und die letztlich die Sicherungswirkung des Gurts zutreffender bestimmt als die Kräfte im Ausgangszustand. Die Gleichungen für diese Berechnung lauten:

   

L1 bis 5 = Längen der Gurtabschnitte 1 bis 5 [m]
F1 bis 5 = Anfangskräfte in den Gurtabschnitten 1 bis 5 [daN]
ca bis d = Faktoren der Euler’schen Kantenreibung an den Kanten a bis d
FL = Kraft im Gurtabschnitt 1 nach Rutschen der Ladung [daN]
FR = Kraft im Gurtabschnitt 5 nach Rutschen der Ladung [daN]

Die Herleitung dieser Gleichungen erfordert keine höhere Mathematik. Für die praktische Anwendung sind sie aber doch zu aufwendig und sollten durch ein einfacheres Rechenmodell ersetzt werden. Das geschieht weiter unten. Zunächst wird die Auswirkung dieses Denkansatzes mit systematisch veränderten Positionen des oder der Spannmittel im Gurt vorgestellt. Die etwas aufwendigen Berechnungen kann man dabei getrost einer Excel-Tabelle anvertrauen.


Abbildung - Sichern von überbreiten Ladungen im Straßenverkehr

Bild 2: Änderung der Kräfte in den Gurtabschnitten nach Ladungsbewegung

In Bild 2 werden im oberen Teil die Kräfte in den fünf Gurtabschnitten einer überbreiten Ladung kurz nach dem Spannen dargestellt und zwar für sieben unterschiedliche Positionen des oder der Spannmittel. Die Säule mit dem Spannmittel ist blau dargestellt. Die Breite der gezeigten Säulen entspricht der Länge der Gurtabschnitte, so dass die Fläche in jeder Säule eine Vorstellung von der gespeicherten Energie in dem betreffenden Abschnitt vermittelt. Es ist also erkennbar, dass die Anordnung des Spannmittels in den Fällen 1 und 5 am wenigsten Energie in der Niederzurrung speichert, in den Fällen 2, 3 und 4 hingegen deutlich mehr. Die beiden Fälle 6 und 7 mit jeweils zwei Spannmitteln liegen noch etwas darüber.

Im unteren Teil des Bildes 2 werden die Kräfteverteilungen gezeigt, die sich rechnerisch ergeben, wenn die Ladung „ein wenig“ nach links gerutscht ist und die Kräfte sich der Euler’schen Kantenreibung entsprechend neu verteilt haben. Dazu muss der Gurt auf der Ladung etwas rutschen, meist nur im Millimeterbereich. In den Fällen 1 und 5 ändert sich dadurch für die Endabschnitte nichts. Aber in allen übrigen Fällen steigt die „Ausbeute“ an Zurrkraft deutlich an, weil sich die in den längeren Gurtabschnitten gespeicherte Energie in den Endabschnitten als Kraftzuwachs auswirkt.

Die Kräfte in den Endabschnitten, die sich grundsätzlich nicht mehr verändern, werden nun wie die Kräfte einer direkt wirkenden Zurrung ausgewertet. Das bedeutet, ihre Vertikalkomponenten wirken reibungserhöhend und ihre Horizontalkomponenten wirken direkt sichernd. Allerdings zeigen letztere in unterschiedliche Richtungen, so dass nur die Differenz sichernd wirkt. Aber die ist wegen der vorangegangenen Ladungsbewegung immer positiv, also sichernd.

Damit lautet die erweiterte Sicherungswirkung SW aus den beiden Endkräften FL und FR:

   

Zum Vergleich dazu wird nach dem konventionellen Rechenmodell mit folgender Formel gerechnet:

   

Beispiele

Um die Unterschiede dieser Rechenansätze deutlich zu machen, werden zwei typische Beispiele für eine Ladeflächenbreite von 2,55 m gerechnet. Für das erste Beispiel sind folgende Eingangsgrößen gewählt worden:

Vorspannkraft STF = 400 daN Reibbeiwert am Gurt μG = 0,20
Ladungsbreite B = 4,000 m Reibbeiwert zur Ladefläche μ = 0,40
Ladungshöhe H = 3,000 m Ratschenlänge R = 0,300 m
Chassishöhe C = 0,420 m Normierte Federkonstante DN = 62500 daN

Daraus werden die weiteren Hilfsgrößen berechnet:

Zurrwinkel α = 0,525 rad Gurtabschnitt L1 = 0,838 m
Eulerfaktor ca = 0,811 Gurtabschnitt L2 = 3,000 m
Eulerfaktor cb = 0,730 Gurtabschnitt L3 = 4,000 m
Eulerfaktor cc = 0,730 Gurtabschnitt L4 = 3,000 m
Eulerfaktor cd = 0,811 Gurtabschnitt L5 = 0,838 m

Bei den Gurtabschnittlängen handelt es sich um die rohen Längen. Von denjenigen Längen, in denen ein Spannmittel (Ratsche) eingefügt ist, wird in den Berechnungen ein Betrag R für Ratsche und Gurtdoppelung abgezogen, weil beide im Vergleich zum normalen Gurtmaterial eine wesentlich größere Federkonstante aufweisen und daher vereinfachend als ideal „steif“ angesehen werden können.

Die Tabelle liefert für unterschiedliche Ratschenpositionen die Anfangskräfte F1 bis F5 und die Endkräfte FL und FR in daN. Hier zeigt sich bereits der Vorteil einer Positionierung der Ratsche in den Abschnitten 2 bis 4, weil hier die von der Ratsche erzeugte Vorspannkraft in längeren Gurtabschnitten untergebracht ist und damit eine insgesamt höhere Vorspannungsenergie im Gurt erreicht wird. Die Verwendung von zwei Ratschen bringt nochmals eine relative Steigerung.

Im Ergebniskasten rechts wird die Sicherungswirkung SW1 nach konventioneller Rechnung gezeigt. Daneben stehen die Sicherungswirkung SW2 unter Berücksichtigung der Querkomponenten. Die zu ihrer Entstehung notwendige Ladungsbewegung ΔY in Millimetern steht in der äußeren rechten Spalte.

Die kleinen Asymmetrien in den Ergebnissen von SW2 entstehen durch den Abzug der Länge R in den betreffenden Abschnitten. Das Einsetzen von zwei Ratschen in den mittleren Abschnitt 3 bringt kräftemäßig keine Vorteile gegenüber nur einer Ratsche in diesem Abschnitt. Es kann sich trotzdem als günstig erweisen, um die Anzahl der Lagen auf den Wickelachsen nicht zu groß werden zu lassen.

Zur Veranschaulichung dieser Ergebnisse werden in Bild 3 in einem Säulendiagramm die Sicherungswirkungen nach konventioneller Bewertung (blau) und nach erweiterter Bewertung (rot) dargestellt. Das Ergebnis zeigt den gravierenden Einfluss der Horizontalkomponenten, vor allem bei Ladungen, die erheblich breiter sind als die Ladefläche und folglich kleine Winkel α ergeben.


Abbildung - Sichern von überbreiten Ladungen im Straßenverkehr

Bild 3: Sicherungswirkungen konventionell (blau) und erweitert (rot) für B = 4,0 m

Ist die Ladung nur wenig breiter als die Ladefläche, ergeben sich große Zurrwinkel und die Querkomponenten werden klein. Dann liegen die Ergebnisse der beiden Rechenmodelle erwartungsgemäß näher beieinander. Das wird an einem zweiten Beispiel demonstriert, welches sich von dem ersten Beispiel nur dadurch unterscheidet, dass die Ladung nicht 4,0 m breit ist, sondern nur 2,75 m, also nur 10 cm auf jeder Seite übersteht. Der Zurrwinkel α beträgt hier knapp 77° und die zum Erreichen der erweiterten Sicherungswirkung notwendige Ladungsverschiebung liegt im Höchstfall bei ca. 4 cm. Bild 4 zeigt die Sicherungswirkungen.

Die gepunktete Linie zeigt zur Orientierung die Sicherungswirkung quer zum Fahrzeug gemäß DIN EN 12195-1 für eine Ladung von exakt 2,55 m Breite und ansonsten gleichen Werten wie im zweiten Beispiel:

   


Abbildung - Sichern von überbreiten Ladungen im Straßenverkehr

Bild 4: Sicherungswirkungen konventionell (blau) und erweitert (rot) für B = 2,75 m





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