Die vorliegende Abhandlung befasst sich in erster Linie mit der Beurteilung von Niederzurrung und Direktsicherung von Ladung auf Straßenfahrzeugen. Für diese Beurteilung werden in der Praxis stark vereinfachte Rechenmodelle verwendet. Diese dienen dem befördernden Verkehrsteilnehmer dazu, den notwendigen Sicherungsaufwand zu bestimmen, und ermöglichen außerdem der Polizei eine Kontrolle mit nötigenfalls gerichtsfester Beurteilung. Ein vereinfachtes Rechenmodell für die Beurteilung einer Ladungssicherungsmaßnahme sollte sich neben der einfachen Handhabung vor allem dadurch auszeichnen, dass es trotz der Außerachtlassung der weniger bedeutsamen Nebeneffekte ein realistisches Abbild der tatsächlichen Gesamtsicherungswirkung liefert.
Die bestehenden Unterschiede in den Rechenmodellen zur Niederzurrung in der Richtlinie VDI 2700, Blatt 2 sowie der Norm DIN EN 12195-1:2004 zu den Modellen der Norm DIN EN 12195-1:2011 sind erst im vergangenen Jahrzehnt entstanden. Die Unterschiede beruhen auf uneinheitlicher Vereinfachung der Rechenmodelle. Insbesondere stellt die inzwischen eigentlich überholte DIN EN 12195-1:2004 den sogenannten k-Faktor für den Übertragungsverlust an Vorspannkraft bei einseitigem Spannmittel in Rechnung, was anforderungsgemäß zu einem 33%igen Mehraufwand an Sicherung führt.
Die Rechenmodelle von Niederzurrungen sind in der Abhandlung eingehend dargestellt und mit der tatsächlichen, komplexen Sicherungswirkung verglichen worden. Ebenso wurden einige wichtige Aspekte der Beurteilung von Direktsicherungen untersucht. Die Ergebnisse lauten zusammengefasst:
- Die üblichen Rechenmodelle für die Ermittlung der notwendigen Anzahl von Niederzurrungen vernachlässigen direktsichernde Nebenwirkungen der Niederzurrung und liefern deshalb vor allem bei kleinen Reibbeiwerten bzw. bei kleinen Standhebeln kippgefährdeter Einheiten überhöhte Ergebnisse. Das bedeutet, der Sicherungsaufwand erhöht sich bei kleinen Reibbeiwerten bzw. bei kleinen Standhebeln scheinbar überproportional, was der Realität nicht ganz entspricht.
- Die rechnerische Berücksichtigung des Übertragungsverlusts an Vorspannkraft bei einseitigem Spannmittel in einer Niederzurrung durch den k-Faktor von 1,5 wurde mit der Einführung der Norm DIN EN 12195-1:2004 in Deutschland weitgehend akzeptiert, ohne dass ein anerkannter Nachweis für die Untauglichkeit des bis dahin gültigen Rechenmodells der Richtlinie VDI 2700, Blatt 2 vorgelegen hätte, welches keinen k-Faktor hatte.
- Der Umgang mit dem neu eingeführten k-Faktor in der Norm DIN EN 12195-1:2004 war einerseits inkonsequent, weil die durch den k-Faktor zugänglich gemachten Querkomponenten bei der Rutschbilanz nicht beachtet wurden, wohl aber bei der Kippbilanz. Dort aber wurden sie physikalisch unsinnig ausgewertet, was zu völlig unrealistischen Ergebnissen führte. Die Ursache der Fehlbewertung lag in der Außerachtlassung von Ladungsbewegungen bei niedergezurrten Ladungen, während derartige Bewegungen bei direkt gesicherten Ladungen in den üblichen Rechenmodellen stets vorausgesetzt werden.
- Die Einführung der genormten Vorspannkraft STF und ihre Feststellung durch Prototypprüfung nach der Norm DIN EN 12195-2:2001 hat zu der Spekulation Anlass gegeben, dass das Einrasten der Spannratsche in den zurückliegenden Zahn der Wickelwelle den Übertragungsverlust in der auf STF bezogenen Gesamtvorspannkraft wieder ausgleicht. Die vorliegende Abhandlung zeigt jedoch, dass dieser Ausgleich nicht stattfindet, sondern der k-Faktor im Regelfall nur geringfügig angehoben wird.
- Bei einer Direktsicherung führen kleine Ladungsbewegungen oder Ladungsverformungen dazu, dass die anfängliche Vorspannkraft auf der belasteten Seite ansteigt und rechnerisch die zulässige Belastbarkeit LC des betreffenden Zurrmittels in Ansatz gebracht werden kann. Bei einer Niederzurrung steigt die Vorspannkraft auf der belasteten Seite hingegen nur soweit an, wie es das Euler’sche Verhältnis zur gleichzeitig abnehmenden Gurtkraft auf der Gegenseite erlaubt. Es ergibt sich jedoch in jedem Fall eine für die Sicherung günstige Konfiguration von Horizontalkomponenten.
- Die tatsächliche Sicherungswirkung einer Niederzurrung gegen Kräfte in Querrichtung und gegen Kräfte in Längsrichtung zum Fahrzeug ist im Bereich aller Zurrwinkel größer als die Sicherungswirkung nach den Rechenmodellen der derzeit gültigen Norm DIN EN 12195-1:2011 und weitgehend auch größer als die Sicherungswirkung nach dem Rechenmodell der Richtlinie VDI 2700, Blatt 2. Außerdem ist die in allen bisherigen Rechenmodellen unterlegte Abhängigkeit der Sicherungswirkung von Sinus des Zurrwinkels unzutreffend. Das tatsächliche Maximum der Sicherungswirkungen liegt bei Zurrwinkeln zwischen 60° und 70° und nicht bei 90°.
- Die tatsächliche Sicherungswirkung einer Niederzurrung gegen Momente in Querrichtung zum Fahrzeug ist im Bereich aller Zurrwinkel größer als die Sicherungswirkung nach den Rechenmodellen der derzeit gültigen Norm DIN EN 12195-1:2011 und auch der Richtlinie VDI 2700, Blatt 2. Auch hier ist die unterstellte Einflussnahme des Sinus des Zurrwinkels überflüssig.
- Die tatsächliche Sicherungswirkung einer Niederzurrung gegen Momente in Längsrichtung zum Fahrzeug ist im Bereich aller Zurrwinkel größer als die Sicherungswirkung nach den Rechenmodellen der derzeit gültigen Norm DIN EN 12195-1:2011 und auch der Richtlinie VDI 2700, Blatt 2, wenn ein geringfügiges Ankippen der Ladungseinheit zugelassen wird. Da eine quergeführte Niederzurrung beim Ankippen in Längsrichtung im Grunde direkt sichernd wirkt, besteht die Versuchung, als sichernde Kraft die zulässige Belastung LC einzusetzen. Davon wird dringend abgeraten, weil sich diese große Kraft erst nach einem erheblichen Ankippen einstellt. Im übrigen ist auch hier die unterstellte Einflussnahme des Sinus des Zurrwinkels überflüssig.
- Bei einer Niederzurrung sollte generell der Reibbeiwert zwischen Gurt und Ladung möglichst klein sein, also 0,2 oder weniger. Das lässt sich durch glatte, gerundete Kantenbleche oder entsprechende gleitfähige Materialien erreichen. Eine Ausnahme von dieser Regel stellt die Kippsicherung von kippgefährdeten Ladungseinheiten in Querrichtung dar, wo ein großer Reibbeiwert zwischen Gurt und Ladung günstiger ist.
- Im Hinblick auf die in Deutschland bestehende Diskussion um den angeblichen Sicherheitsverlust, der durch die Einführung der Norm DIN EN 12195-1:2011 entstanden sein soll, ist festzustellen: Die neue Fassung DIN EN 12195-1:2011 stellt höhere Ansprüche an eine Niederzurrung als die noch immer parallel angewandte Richtlinie VDI 2700, Blatt 2. Da diese Richtlinie aber immer noch als bewährte „Regel der Technik“ anerkannt wird, sind die Argumente gegen die Norm DIN EN 12195-1:2011 nicht konsistent.
- Die Rechenmodelle der Vorläufernorm DIN EN 12195-1:2004 für sichernde Quer- und Längskräfte sind um 17,5% strenger als die der DIN EN 12195-1:2011. Für Kippbeanspruchung in Querrichtung können die Abweichungen bei mehreren 100% liegen. Abgesehen von diesen auf einem Modellierungsfehler beruhenden Abweichungen ist der beklagte Sicherheitsverlust nur etwa halb so groß wie der wenige Jahre zuvor durch den k-Faktor eingeführte Sicherheitszuwachs. Die DIN EN 12195-1:2011 enthält also einen Sicherheitsgewinn gegenüber der Richtlinie VDI 2700, Blatt 2.
- Obwohl die Instrumente der DIN EN 12195-1:2011 nach der Feststellung unter Punkt 10 und 11 akzeptabel erscheinen, bedeutet das nicht, dass diese Norm nicht korrekturbedürftig und verbesserungsfähig ist. Vorschläge zur Verbesserung sind jedoch nicht das Hauptanliegen dieser Abhandlung.
- In den vereinfachten Rechenmodellen zur Bewertung einer Niederzurrung gegen Rutschen spielt der anzusetzende Reibbeiwert zwischen Ladefläche und Ladung eine herausragende Rolle, wie schon oben unter Punkt 1 festgestellt worden ist. Nach Abwägung der derzeit herrschenden unterschiedlichen Auffassungen kann der Vorschlag der Norm DIN EN 12195-1:2011 zur Verwendung eines mittleren Wertes zwischen Haftreibbeiwert und Gleitreibbeiwert unterstützt werden.
- Direktzurrkräfte werden in die üblichen Rechenmodelle mit der zulässigen Belastung LC des Zurrmittels eingesetzt. Die zum Erreichen dieser Kraft im Zurrmittel notwendige Ladungsbewegung in Richtung der äußeren Kraft kann und sollte minimiert werden. Das lässt sich erreichen durch Ausrichtung des Zurrmittels so nahe wie möglich in die Richtung der äußeren Kraft, durch eine hohe Vorspannkraft im Zurrmittel, die allerdings 40% bis 50% des Wertes von LC nicht überschreiten darf, und durch Wahl eines Zurrmittels mit großer Federkonstante.
- Die üblichen Rechenmodelle zur Beurteilung einer Direktsicherung berücksichtigen nicht die notwendige und stets vorhandene Ladungsbewegung. Dadurch weichen die Ergebnisse der Rechenmodelle von denen der genaueren Berechnung ab. Die Abweichungen liegen für Rutschbilanzen auf der „sicheren Seite“, für Kippbilanzen hingegen auf der „unsicheren Seite“. Sie sind aber insgesamt tolerierbar.
- Werden zwei oder mehr direkt und gleichsinnig wirkende Ladungssicherungsmittel mit unterschiedlichen Winkeln, unterschiedlichen Längen und/oder unterschiedlichen Federkonstanten mit den üblichen, vereinfachten Rechenmodellen beurteilt, so werden alle Mittel mit ihrem LC in eine Kräfte- oder Momentenbilanz eingesetzt. Diese Vorgehensweise ist falsch. Wenn das Sicherungsmittel mit der günstigsten Wirkrichtung, der kleinsten Länge und/oder der größten Federkonstanten seine zulässige Belastung LC erreicht, sind die übrigen von ihrem LC noch mehr oder weniger weit entfernt. Die Sicherungsanordnung ist daher unzureichend oder es wird eine Überlastung des erstgenannten, „steifsten“ Sicherungsmittels in Kauf genommen. Diesem Umstand sollte in den Richtlinien und Normen in geeigneter Weise durch Abhilfe Rechnung getragen werden.
- Der von der deutschen Richtlinie VDI 2702 eingeführte, sogenannte Wankfaktor zur Berücksichtigung des durch Rotationsbeschleunigungen der Ladefläche und Rotationsträgheit der Ladung entstehenden zusätzlichen Kippmoments ist im Zuge der Beratungen zur Norm DIN EN 12195-1:2011 möglicherweise das Opfer von Missverständnissen geworden. Die Reduzierung von 0,2 g auf 0,1 g scheint berechtigt zu sein. Jedoch ist das Anwendungskriterium zur Feststellung der Kippgefahr fehlerhaft formuliert und die unterstellte Abhängigkeit der Anwendung des Wankfaktors von der Vorspannkraft ist physikalisch nicht begründbar.
- Der statische Kippversuch zur Feststellung der Angemessenheit von Sicherungsanordnungen, die sich einer Prüfung mit den vereinfachten Rechenmodellen entziehen, ist den vereinfachten Rechenmodellen nicht völlig gleichwertig. Die vorgeschriebene Verwendung eines „willkürlich“ mit dem Faktor 0,925 verringerten Haftreibbeiwerts im Versuch führt dazu, dass der tatsächlich wirksame Haftreibbeiwert eine geringere Sicherungswirkung ausreichend erscheinen lässt, als das Rechenmodell mit dem verringerten Reibbeiwert fordern würde.
- Der alternativ zugelassene, genormte Fahrversuch enthält zwangsläufig dynamische Effekte. Diese Effekte führen in der Regel zu größeren Ladungsbewegungen, so dass die Abweichung vom vereinfachten Rechenmodell tendenziell zur anderen Seite auftritt. Somit ist es zutreffend und auch erklärlich, dass statischer Kippversuch und dynamische Fahrprüfung einander weniger gleichwertig sind als jede der beiden Optionen dem vereinfachten Rechenmodell. Jedoch ist der statische Kippversuch einfacher und kontrollierter durchzuführen und kommt dabei den Rechenmodellen ausreichend gleich.
- Eine für Niederzurrungen wichtige Erkenntnis ist, dass alle Rechenmodelle ebenso wie die genauere Erfassung aller Sicherungswirkungen völlig nutzlos und nichtssagend sind, wenn in der Praxis versäumt wird, die Kräfte aus den Gurten wirksam und über einen möglichst langen Zeitraum auf die ganze Ladung zu übertragen. Dies wurde in dem eingangs gezeigten Beispiel des Heuwagens mit dem sogenannten Heubalken verdeutlicht. Für übliche Ladungen auf modernen Straßenfahrzeugen sollten hierfür Kantenbleche oder Kantenschutzwinkel verwendet werden. Derartige Hilfsmittel sind integrative Bestandteile einer Niederzurrung und sollten daher in Richtlinien und Normen einen festen Platz im Rahmen der Bewertung einer Niederzurrung erhalten.
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