Foto des Monats – Februar 2013 |
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Das trübe Winterwetter eignet sich hervorragend für das Studium von kuriositäten zu Wasser wie zu Land. Deshalb bieten wir Ihnen diesen Monat zwei Foto des Monats an. |
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Potemkinsche Stirnwand | Tauchgang – oder – Navigation tut not |
Potemkinsche Stirnwand
Zugegeben: Diese Anlehnung an die potemkinschen Dörfer haben wir uns aus der Literatur entliehen. Bei dieser Verunglimpfung des Feldmarschall Reichsfürst Grigori Alexandrowitsch Potjomkin handelt es sich um etwas, was nur den Anschein erweckt, z. B. eine Stirnwand zu sein. In Wirklichkeit ist es aber keine Stirnwand, sondern nur ein Objekt, welche vortäuscht eine zu sein. Aber der Reihe nach. Abbildung 1 [Peter Scholz] Bei diesem Fahrzeug handelt es sich um einen Auflieger in Pritschenform, der pro Seite 6 Rungen aufweist. Auf der Ladefläche liegen zwei Gussstahlblöcke mit einer Masse von 8 bzw. 6 t. Abbildung 2 [Peter Scholz] Ob der beeindruckenden Masse, die diese beiden Gussstahlteile offensichtlich mit sich brachten, wollte der Fahrer auch eine gute Sicherung vornehmen. Da Formschluss landauf landab als eine hervorragende Sicherung gilt und auch weiterhin gelten darf, hat er versucht, eine künstliche Stirnwand zu bauen. Zu diesem Zweck hat er 8 Vierkantbalken übereinander gestapelt und mit Gurten gebündelt. Da die Vierkantbalken aber um ca. 20 cm zu kurz waren, um sich beidseitig an den Rungen formschlüssig abzustützen, wurden sie wechselseitig hinter die Rungen gelegt und mittels der Gurte fixiert. Grundsätzlich ist Formschluss eine der besten Ladungssicherungsarten, die wir zur Verfügung haben, insbesondere dann, wenn der Formschluss belastbar ist. Lassen wir die Art und Weise, wie hier versucht wurde, Formschluss aufzubauen, erst einmal außen vor. Grundsätzlich muss man immer erst einmal die Frage stellen, wie belastbar sind die Bauteile, an die ich heranlade. In Abhängigkeit von der Materialstärke der Rungen ist mit einer Belastbarkeit von 3.000 daN pro Runge ohne weiteres auszugehen. Je höher die Kraft eingebracht wird, desto geringer ist die Sicherungskraft, die diese Rungen der Ladung entgegensetzen können. Selbstverständlich können derartige Rungen auch so ausgelegt sein, dass sie deutlich mehr Sicherungskräfte der Ladung entgegenzusetzen haben. Betrachtet man sich aber diesen wechselseitig hergestellten Formschluss, stellt sich automatisch die Frage nach der gegenüberliegenden Seite. Und richtig: Denkt man dieses Konstrukt zu Ende, wird sich im Belastungsfall diese potemkinsche Stirnwand fächerförmig nach vorne aufblättern. Der einzige Widerstand der kurzfristig zu erwarten ist, bieten die Gurte, da sie aber in dieser steilen Bündelung nur wie eine Niederzurrung wirken können, kann dieser vernachlässigt werden. Optisch sieht diese Stirnwand sehr gut aus, faktisch wird sie einen zu vernachlässigenden Sicherungseffekt haben. Abbildung 3 [Peter Scholz] Besehen wir uns die Idee der Stirnwand näher: Wie schon erwähnt, ist eine Stirnwand bzw. eine künstliche Stirnwand eine durchaus sinnvolle Idee. Bei dieser Stirnwand fällt, wenn wir den wechselseitigen Formschluss außer Acht lassen, noch folgendes auf. Der untere Vierkantbalken dient ausschließlich dazu, die auf ihm liegenden Vierkantbalken so hoch zu positionieren, dass sie in Kontakt mit der ebenfalls auf Vierkantbalken ruhenden Ladung kommen können. Wollte man an dieser Stelle Material sparen, würde es vollkommen ausreichen, in diesem Fall kurze Balkenstücke längs auf die Innenseite der Rungen zu legen. Zweitens fällt auf, dass der Fahrer die Stirnwand möglichst hoch gebaut hat. Da es sich bei diesen Ladungen offensichtlich um recht kompakte Ladungen handelt, könnte man sie auch dadurch „abfangen“, dass man sie im Fußbereich der Ladung formschlüssig mit den Rungen verbindet. Um diese Ladung wirkungsvoll an die Rungen anzubinden wäre folgende Vorgehensweise sinnvoll:
Dieser nun 48 cm lange Holzsteg hat eine deutlich höhere Festigkeit als 4 vertikal übereinander liegende Balken, und die Kraft wird relativ weit unten in die beiden Rungen eingebracht. Dort werden diese wahrscheinlich eine deutlich höhere Sicherungskraft als „nur“ 3.000 daN zur Verfügung stellen. Rechnen wir mit einer Sicherungswirkung der Rungen von 6.000 daN und einem Reibbeiwert von nur 0,3 µ, ergibt sich bei 14.000 daN Gewichtskraft der Ladung folgende Rechnung: Insgesamt müssen nach vorne 11.200 daN Sicherungskraft aufgebracht werden. Da keine reibungserhöhenden Materialien (bis auf Holz) verwandt wurden, gehen wir von einer Reibung 0,3 aus. Somit stellt die Reibung eine Sicherungskraft von 4.200 daN zur Verfügung. Die benötigte Restsicherungskraft beträgt 7.000 daN. Unterstellen wir nun, dass die neugebaute Holzbarriere „nur“ 6.000 daN an Sicherungskraft aufbringen kann, müssen die Niederzurrungen den Rest der Sicherung erbringen. In diesem Fall wurden 10 Niederzurrungen mit Langhebelratschen verwandt. Diese wurden sogar wechselseitig vorgespannt. Wir gehen von einer Gesamtvorspannung von 750 daN pro Niederzurrung aus und erhalten somit 7.500 daN Vorspannung. Multipliziert mit 0,3 bleiben davon 2.250 daN als Sicherungskraft über, welche die Sicherungsbilanz mehr als erfüllen. Schaut man sich die Gurte auf der Abbildung 3, aber auch auf der Abbildung 4 genauer an, entdeckt man erhebliche Gebrauchsspuren, die den Schluss zulassen, dass die überwiegende Anzahl der Gurte ablegereif ist. Abbildung 4 [Peter Scholz] Auch auf der Abbildung 4 rechts unten sind Gebrauchsspuren der Gurte zu erkennen, die zumindest hart an die Ablegereife grenzen, wenn diese nicht schon längst überschritten ist. an dieser Stelle sei erneut bemerkt, dass es eine Verschwendung von Arbeitszeit und Arbeitskraft ist, wenn die Fahrer und/oder das Verladepersonal mit Ladesicherungsmaterialien „sichern“, die längst ablegereif sind. Da die überaus intensiven Gebrauchsspuren, ja sogar Einrisse der Gurte, deren Sicherungskraft drastisch herabsetzen, erreicht man mit der eingesetzten Arbeitszeit bzw. Arbeitskraft nur noch eine 10- oder 20-Prozent-Wirkung. 80 Prozent der Arbeitskraft werden hier verschwendet. Welch Verschwendung!! Abbildung 5 [Peter Scholz] Auf dieser Abbildung sind die 10 Gurte, die wechselseitig gesetzt wurden, schön zu sehen. Auch positiv anzumerken ist, dass die untergelegten Hölzer unter der Ladung annähernd Bohlenformate, nämlich 10 x 12 cm haben. Diese Formate rollen bei weitem nicht mehr so leicht, wie reine Vierkantbalken. Unverständlich ist es, warum in diesem Fall nicht reibungserhöhende Matten verwandt wurden, die selbstverständlich unter den Balken wie unter der Ladung angewandt werden müssten. Allein durch die Verwendung dieser Gummimatten hätte sich die Ladungssicherungswirkung der Gurte von 2.250 auf 4.500 daN erhöhen lassen. Und ganz nebenbei wäre die Ladungssicherung nach hinten, die in diesem Fall überhaupt keine Beachtung gefunden hat, auch erledigt gewesen. Bedenkt man, dass der Fahrer für seine „Stirnwand“ 3 Gurte mit Langhebelratschen verwandt hat und für die Herstellung dieser potemkinschen Stirnwand sicherlich sehr viel Zeit aufgewandt hat, fragt man sich unweigerlich, warum er diese Gurte nicht als Direktzurrung um die Stirnseiten der Metallblöcke gelegt hat. Mittels einer Kranzkette oder einer Hebelschlinge hätte hier ohne weiteres eine Direktsicherung gesetzt werden können. Aber auch ohne Kranzkette oder Hebelschlinge hätten kreuzweise gesetzte Direktzurrungen eine sehr gute Sicherungsmöglichkeit geboten. Schon mit einer Direktzurrung hätte man auf Ladeflächenniveau 4.000 daN Sicherungskraft aufbringen können. Diese Direktzurrung hätte man mit den entsprechenden Kantenschonern, die die Gurte vor den scharfkantigen Gussteilen schützen, auf Querhölzer setzen können, sodass sie nicht Gefahr gelaufen wären, abzurutschen. Bei einer entsprechenden Länge der Gurte, 10 bzw. 12 m, wären die dabei entstandenen Winkel derart spitz, dass sie zu vernachlässigen wären. Abbildung 6 [Peter Scholz] Diese Abbildung zeigt wiederum das Dilemma, wenn ein Fahrzeug mit Gurten ausgestattet ist, für die es nur begrenzte Ladungssicherungspunkte gibt. Die Haken waren durchweg Spitzhaken, die hervorragend in einem Ladungssicherungspunkt zu befestigen sind. Hier wurden sie aber „irgendwie“ am Fahrzeug befestigt, und kaum einer dieser Haken wird tatsächlich im Hakengrund belastet, sondern auf der Spitze und zu einem großen Teil auch noch auf Verbiegen. Kein Wunder, dass die Gurte und die Haken auf Dauer bei derartiger Behandlung Schaden nehmen. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Gurte bzw. Haken im Belastungsfall nicht ihre tatsächliche Sicherungswirkung zur Verfügung stellen können, weil sie falsch belastet werden. Abbildung 7 [Peter Scholz] Zum Abschluss dieser Kolumne möchten wir noch ein kurzes Lob aussprechen: Dieses Lob geht in Richtung der Lastverteilung. Insgesamt wurde dieses Fahrzeug nur mit 14 t belastet. Trotzdem hat der Fahrer sehr genau darauf geachtet, dass die Ladung recht exakt nach Lastverteilungsplan positioniert wurde. Zeichnerisch wurde von uns der Gesamtschwerpunkt ca. 40 – 50 cm vor dem ersten Achsaggregat ausgemacht, welches ungefähr im Maximum der Lastverteilungskurve entsprechen dürfte. Abschließende Bewertung: Es wäre in der Tat zu kurz gesprungen, wenn man diesen Fall mit „gut gemeint, ist aber nicht gut gemacht“ abtun würde. Hier hat sich jemand massiv über die Ladungssicherung Gedanken gemacht. Die Lastverteilung ist gut, die Niederzurrungen mit ca. 60 Grad und Langhebelratschen werden zumindest der seitlichen Ladungssicherung fast gerecht. Das untergelegte Holz hat zwar nur schwaches Bohlenformat, aber immerhin sind sie nicht quadratisch, und der Versuch, mit der Stirnwand war gut und lobenswert, bis auf Tatsache, dass ca. 20 – 30 cm. gefehlt habe. Die Tatsache, dass allem Anschein nach von der Ladung auf der rechten Fahrzeugseite Teile abgefallen sind, welche auf die Straße fallen können, soll hier unkommentiert bleiben. Zurück zum Anfang |