OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 24.05.2013, AZ: 5 U 138/12 | |||
Gericht: | OLG Frankfurt | ||
Aktenzeichen: | 5 U 138/12 | ||
Datum: | 24.05.2013 | ||
Land : | Deutschland | ||
Einordnung in die Urteilsdatenbank | |||
Normenregister: | CMR-> Artikel 17 Abs. 1 | ||
HGB-> § 425 Abs. 1 | |||
Haftungskategorie: | Spedition->Übernahme/Ablieferung | ||
Versicherungskategorie: | Verkehrshaftung | ||
Stichworte: | Blindquittung, andere Beweismittel | ||
Urteil des Monats: | Mai 2014 |
Gründe
I.
Die Klägerin verlangt aus dem Recht der Absenderin, der A GmbHin Hanau, Schadensersatz für den Verlust eines von der Beklagten auftragsgemäß im Straßentransport nach Land1 zu verbringenden Packstücks, das nach Klägerbehauptung drei Kilo Carboplatin im Wert von 77.180,54 € enthielt. Carboplatin ist ein fester, aber ätzender und giftiger Stoff. Diese Packstück sollte aus dem von der Streithelferin der Klägerin in deren Auftrag geführten Lager in Stadt1 an die Subfrachtführerin der Beklagten, die Streithelferin der Beklagten, übergeben werden - zum Zwischentransport auf die Verteilstelle der Beklagten in Stadt2. Dazu erschien der für die Streithelferin der Beklagten tätige Zeuge Z1 am 4.8.2010 mit einem Transportfahrzeug, das mit einer Vielzahl von Packstücken durch den Zeugen Z2 beladen wurde. Während dessen saß der Fahrer, der Zeuge Z1, im Fahrerhaus, wie im Berufungsverfahren unstreitig geworden ist. Die Packstücke, auch das später verschwundene, wurden von dem Zeugen Z2 mit einem Handlesegerät datenmäßig erfasst ("gescannt"). Nach Beendigung des Ladevorgangs begaben sich die beiden Zeugen zum Ladebüro der Streithelferin der Klägerin. Dort zeichnete dann der Zeuge Z1 die ihm erst jetzt vorgelegte Ladeliste unter einem Stempel ab, der den Vermerk enthielt: "Obige Sendung erhalten". Nach der Ausladung in Stadt2 war das Packstück nicht mehr vorhanden.
Die Klägerin und ihre Streithelferin haben behauptet, der Zeuge Z2 habe das Packstück auf das Transportfahrzeug verladen. Er habe nach dem Einscannen durch den Zeugen Z2 das Transportfahrzeugs verschlossen und verplombt. Erst anschließend sei er in das Ladebüro gegangen, um die Ladepapiere abzuholen.
Die Klägerin und ihre Streithelferin haben beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 77.180,54 €nebst Zinsen in Höhe von 5% seit dem 6.8.2010 zu zahlen.
Die Beklagte und ihre Streithelferin haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben behauptet, das Packstück sei bei der Ausladung in Stadt2 nicht auf dem ordentlich verplombten Transportfahrzeug der Streithelferin der Beklagten vorhanden gewesen. Erst mit den Ladepapieren habe der Zeuge Z1 die Plombe erhalten. Dann sei das Fahrzeug verschlossen und von dem Verladearbeiter verplombt worden.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Fahrers Z1, des Verladearbeiters Z2, der Büroangestellten der Streithelferin der Klägerin Z3 und der Mitarbeiterin im Wareneingang der Beklagten in Stadt2, der Zeugin Z4, sowie durch Augenschein einer Videoaufzeichnung des Entladevorgangs in Stadt2.Es hat die Klage abgewiesen, weil die Wirkung der von dem Zeugen Z1erteilten Ladequittung erschüttert und ein Nachweis der Verladung von der Klägerin nicht erbracht sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivortrags und der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil verwiesen (Bl. 292 bis 302d.A.).
Gegen dieses Urteil haben die Klägerin und ihre Streithelferin Berufung eingelegt, mit der sie jeweils die Beweiswürdigung durch das Landgericht angreifen.
Sie beantragen,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 77.180,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5% seit dem 6.8.2010 zu zahlen, hilfsweise in Höhe eines Teilbetrags von 2.500,00 € nebst zugehöriger Zinsen die Zahlung an die A GmbH, Stadt1, zu erbringen.
Die Beklagte und ihre Streithelferin beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das Urteil.
Es ist im Berufungsverfahren durch wiederholte Vernehmung der Zeugen Z2 und Z1 Beweis erhoben worden. Auf das Protokoll der Sitzung vom 15.3.2013 wird verwiesen (Bl. 490 bis 493 d.A.). Die Parteien haben ihr Einverständnis mit einer Endentscheidung durch den Einzelrichter erklärt.
II.
Die Berufungen der Klägerin und die ihrer Streithelferin sind als ein einheitliches Rechtsmittel (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 29.Aufl. 2012, Vor § 511 Rz.24 am Ende) zulässig eingelegt und begründet worden. Das Rechtsmittel, als solches der Klägerin geführt, hat aber in der Sache keinen Erfolg, weil das angefochtene Urteil nicht auf einem Rechtsfehler beruht und die im Berufungsverfahren zugrunde zu legenden Tatsachen iSd. § 529 ZPOebenfalls keine andere Entscheidung veranlassen (§ 513 Abs.1ZPO).
Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht einen Schadensersatzanspruch der Klägerin aus nach § 86 VVGübergegangenem Recht der A GmbH verneint. Denn dieser ist ein Anspruch nach Art.17 Abs.1 CMR nicht entstanden. Die Klägerin hat nämlich weder bewiesen, dass das Packstück von der Beklagten übernommen worden ist, noch kann sie wegen der Unterzeichnung der Ladeliste unter wertenden Gesichtspunkten verlangen, dass sich die Beklagte so behandeln lassen muss.
Der Nachweis der Obhutübernahme durch die Streithelferin der Beklagten, die nach Art.3 CMR der Beklagten zuzurechnen ist, ist nicht geführt.
Für den Zeitpunkt der Obhutübernahme, das ist die Übernahme zur Beförderung iSd. Art 17 Abs.1 CMR oder § 425 Abs.1 HGB, ist hier das Ende des Ladevorgangs maßgeblich. Übernahme iSd. vorgenannten Vorschriften ist der Erwerb des unmittelbaren oder mittelbaren Besitzes durch den Frachtführer an dem Frachtstück (vgl. BGH vom 12.11.2012, I ZR 214/10 - TranspR 2012, 107; BGH vom 28.6.2001, IZR 13/99 - TranspR 2001, 471; Koller, Transportrecht, 7. Aufl.2010, § 425 HGB Rz.17 mit weiteren Nachweisen in Fußnoten 71 und 72; Ebenroth/Schaffert, HGB, 2. Aufl. 2009, § 425 Rz.18). Der unmittelbare Besitz wird wiederum begründet, indem die tatsächliche Gewalt nach außen erkennbar erlangt wird, getragen von einem Sachbeherrschungswillen (vgl. § 854 Abs.1 BGB; Palandt/Bassenge,BGB, 72. Aufl. 2013, § 854 Rz.3 und 4).
In der transportrechtlichen Fachliteratur ist umstritten, wann dies der Fall ist, wenn der Absender das Gut zu verladen hat und auch verlädt, wie dies hier der Fall war. Von einigen wird vertreten, dass der unmittelbare Besitz erst mit dem Verschließen des Beförderungsmittels durch den Frachtführer erlangt wird, von anderen, dass der unmittelbare Besitz bereits mit dem Absetzen des Frachtstücks auf der Ladefläche übergeht (zum Meinungsstand, vgl.Koller, wie oben, § 425 HGB, Fn.85 unter § 425 HGB). Dieser Streit muss nicht grundsätzlich entschieden werden. Denn mit dem Aufbruch der Zeugen Z2 und Z1 zum Ladebüro der Streithelferin der Klägerin übte nicht mehr die Streithelferin der Klägerin, sondern die Streithelferin der Beklagten die tatsächliche Gewalt über die auf dem Transportfahrzeug befindlichen Frachtstücke aus. Diese Zuordnung ist nach der Verkehrsauffassung unter Wertung aller Umstände vorzunehmen (vgl. BGH vom 24.6.1987, VIII ZR 379/86 - NJW1987, 2812, Rz.13 bei juris). Die auf der Transportfläche eines offenen stehenden Lastwagen liegenden Waren werden aber üblicherweise dem Frachtführer zugeordnet, nicht einem Dritten, auf dessen Gelände das Fahrzeug steht bzw. der die Frachtstücke erwartet oder sich ihrer entledigt hat. Auch das in der Entscheidung des BGH vom 12.11.2012 (s.o.) genannte Kriterium ist erfüllt: Der Zeuge Z1 hätte das Packstück vor Schaden bewahren können. Er hätte nur das Rolltor seines Transportfahrzeugs schließen oder soweit absenken müssen, dass ein Zugang oder Zugriff zur Ladefläche verhindert wird.
Der Sachherrschaftswille des Zeugen Z1 als Besitzdiener der Streithelferin der Beklagten genügte in einer generellen Form (vgl.Palandt/Bassenge, wie oben, § 854 Rz.4). Er ergibt sich hier daraus, dass der Ladevorgang erkennbar abgeschlossen war und eine spätere Verplombung, wie damals üblich, nicht mehr unter der Aufsicht des Verladearbeiters erfolgen würde, sondern in der Hand des Zeugen Z1 lag. Das hat der Zeuge Z2 bekundet und hat der Zeuge Z1 schließlich auch bestätigt. Er hat nämlich ausgeführt, dass der Verladearbeiter lediglich die Rampe noch auf die richtige Position fahren musste, sofern dies nicht schon vor dem Gang in das Ladebüro geschehen war. Dass der Verladearbeiter auch die Anbringung der Plombe zu kontrollieren hatte, wollte der Zeuge Z1 dann, entgegen seiner anfänglichen Aussage, nicht mehr bestätigen.
Die Beweisaufnahme hat nicht zur Überzeugung ergeben, dass der Zeuge Z2 das Frachtstück auf das Transportfahrzeug verladen hat und dass dieses bei Abschluss des Ladevorgangs dort noch vorhanden war.
Eine Bindung an die Feststellungen des Landgerichts nach § 529Abs.1 Ziff.1 ZPO besteht nicht, weil konkrete Zweifel an der Richtigkeit der Feststellung zur Übergabe eigene Feststellungen des Berufungsgerichts veranlasst haben. Denn die zur Begründung verwendete Annahme des Landgerichts, dass ein Zugriff Dritter vor der Verplombung des Transportfahrzeuges auszuschließen sei, vom Landgericht als lebensfremd bezeichnet, ist ohne tatsächliche Grundlage. Es ist nämlich unklar geblieben, wie lange die Wechselbrücke offen stand und wann das verschlossene Transportfahrzeug überhaupt verplombt wurde. Dass die Verplombung vor der Abfahrt erfolgte, hat nur der Zeuge Z1 ausgesagt, dem -wenig sinnvoll - die Plombe zur unkontrollierten Anbringung ausgehändigt worden war.
Davon unberührt ist freilich die Hilfstatsache, dass das Frachtstück beim Eintreffen des Transportfahrzeugs in Stadt2 auf diesem nicht mehr vorhanden war. Die auf der Grundlage des Überwachungsvideos und der Aussage der Zeugen Z4 getroffene Feststellung des Landgerichts unterliegt keinen Zweifeln iSd. § 529Abs.1 ZPO, die auch von der Klägerin und ihrer Streithelferin nicht durchgreifend geäußert worden sind. Dass nicht ausreichend festzustellen ist, ob die Zeugin die Plombennummer kontrolliert hat, ist nämlich unschädlich. Die Zeugin hat in ihrer sehr gründlichen Vernehmung durch das Landgericht selbst angegeben (Protokoll des Landgerichts S.13 unten, Bl. 253 d.A.), die Plombennummer nicht persönlich kontrolliert zu haben. Es liegt jedoch fern, dass der Zeuge Z1 eine falsche Plombe an dem Fahrzeug angebracht haben könnte, weil ein solcher Vorgang sofort auf ihn zurückgeführt hätte werden können. Es wäre auch unnötig gewesen,weil der Zeuge Z1, wie im Berufungsverfahren geklärt werden konnte,die Plombe ohnehin zur freien, d.h. unkontrollierten Anbringung ausgehändigt erhalten hatte.
Die erneute Beweiswürdigung zur Verladung führt nicht zu einem anderen Ergebnis, als es das Landgericht gewonnen hat, weil auch nach den eigenen Feststellungen des Berufungsgerichts eine Verbringung des Frachtstücks auf die Ladefläche des Transportfahrzeugs durch den Zeugen Z2 nicht bewiesen ist. Es kann nicht ausreichend sicher ausgeschlossen werden, dass der Zeuge Z2das Päckchen in unredlicher Absicht zwar mit dem Erfassungsgerät aufgezeichnet, dann entweder nicht verladen oder wieder ausgeladen hat. Ebenso ist es aber möglich, dass der Zeuge Z1 das Päckchen zur Seite geschafft hat, weil er durch die Aushändigung der Plombe und den anschließenden Verzicht der Streithelferin der Klägerin auf eine Kontrolle der Anbringung die Plombe zu jedem beliebigen Zeitpunkt vor seiner Ankunft in Stadt2 hätte befestigen können.Schließlich ist auch ein Zugriff Dritter nicht auszuschließen,nachdem der Lastwagen bis zur Rückkehr des Zeugen Z1 von dem Ladebüro - unnötigerweise - offen stand.
Die Aussage des Zeugen Z2 unterliegt aus sich heraus Zweifeln,denn es besteht der Verdacht, dass das vom Zeugen vor dem Berufungsgericht erklärte Erinnerungsunvermögen nur zu seinem Schutz bekundet worden ist. Vor dem Landgericht konnte er sich nämlich durchaus noch an Einzelheiten des Vorgangs erinnern, die er nach der Verlesung seiner Aussage auch wieder im Berufungsverfahren bestätigt hat. Dass der Zeuge aber diese Einzelheiten zwischen den Aussagen vergessen haben könnte, ist unwahrscheinlich. Denn durch die erste Aussage wurden die Umstände in sein Gedächtnis gerufen und verfestigt. Durch die Lieferscheine hatte der Zeuge Z2 auch Kenntnis vom Inhalt des Packstücks und dessen Wert, sodass er in Verkennung der Eigenschaften von Carboplatin angenommen haben kann,es handele sich um das wertvolle Edelmetall Platin. In diese Richtung deutet auch die vom Landgericht festgestellte Unwilligkeit des Zeugen bei seiner dortigen Vernehmung, deren Beweiswert nicht etwa dadurch entfällt, dass sich der Zeuge im Berufungsverfahren unauffällig gegeben hat.
Freilich kann gegen den Zeugen Z2 nicht angeführt werden, ein späterer Verlust sei ausgeschlossen, wie dies noch das Landgericht angenommen hatte. Auch die Aussage des Zeugen Z1 war nämlich nicht in sich geschlossen und überzeugend. Einerseits schiebt er, wie der Zeuge Z2, einen Erinnerungsverlust vor, kann sich dann aber doch an die Person des Zeugen Z2 als den Verlader des betreffenden Tages erinnern. Er musste schließlich seine zunächst eindeutige Aussage,dass der Verlader bei der Verplombung stets anwesend gewesen sei,revidieren. Damit musste er einräumen, das er unkontrollierten Zugriff auf das Frachtstück hatte, was er mit seiner Aussage zunächst vermeiden wollte. Insoweit ist er auch von seiner vorprozessualen Erklärung (Anl. N 2 -1, Bl. 94 d.A.)abgewichen.
Das Frachtstück konnte auch von dem offenen Lastwagen entwendet worden sein. Zwischen dem elektronischen Erfassen durch den Zeugen Z2 mit dem Handlesegerät um 16.35 Uhr und dem Fahrtantritt des Zeugen Z1 um 16.45 Uhr war der LKW im Wesentlichen unbeaufsichtigt und stand, wie der Zeuge Z1 eingeräumt hat, offen, also für einen Zeitraum von knapp 10 Minuten. Die Laderampe ist zwar übersichtlich, andererseits sollen nach der Erinnerung des Zeugen Z2 (Seite 6 des landgerichtlichen Protokolls, Bl. 246 d.A.) vor dem Landgericht noch zwei weitere Fahrzeuge dort zur Beladung gewartet haben.
Die Abzeichnung der Ladeliste durch den Zeugen Z1 unter dem Vermerk "Obige Sendung erhalten" hat keinen Beweiswert,wiewohl es sich um eine Quittung iSd. § 368 BGB handelte. Der Hinweis der Klägerin auf Art.9 CMR ist nicht hilfreich, denn die Unterschrift des Zeugen Z1 erfolgte auf der Ladeliste, nicht auf einem Frachtbrief. Nach heute allgemeiner Ansicht (vgl.Staudinger/Olzen, BGB, Bearb. 2011, § 368 Rz.7) ist die Quittung Beweismittel, außergerichtliches Geständnis über den Empfang und Indiz für die Wahrheit der zugestandenen Tatsache. Die Abzeichnung hat - hier - aber keine Beweiskraft iSd. § 286 ZPO, ist also nicht in der Lage den tatsächlichen Vorgang weiter aufzuklären, wie dies auch bei einer Vorausquittung der Fall ist (vgl. BGH vom 13.7.1979,I ZR 153/77 - WM 1979, 1157; Palandt/Grüneberg, wie oben, § 368Rz.5; Staudinger/Olzen, wie oben, § 368 Rz.19). Denn die Abzeichnung erfolgte, wie sich übereinstimmend aus den Aussagen der Zeugen Z2 und Z1 ergibt und im Berufungsverfahren unstreitig geblieben ist, ohne Kenntnis des Zeugen Z1 zur Vollständigkeit des Lagevorgangs. Der Zeuge Z1 hatte den Ladevorgang, wie sonst auch,unbeobachtet gelassen und war im Fahrerhaus geblieben. Konnte aber der Zeuge Z1 mit seiner Unterschrift gar keine Erklärung über die Vollständigkeit der Ladeliste abgeben, so kann aus dieser "blinden" Unterzeichnung auch nicht auf den tatsächlichen Geschehensablauf iSd. § 286 ZPO geschlossen werden. Soweit in einzelnen obergerichtlichen Entscheidungen vertreten worden ist,die Beweiswirkung entfalle nicht, wenn der Frachtführer die Quittung blind (OLG Hamm TranspR 1992, 359) oder "unverschuldet" blind (OLG Karlsruhe TranspR 2004, 468Rz.34 bei juris; OLG Köln VersR 1998, 1006 Rz.10; ebenso MüKo/Czerwenka, HGB, 2009, § 409 Rz.28) unterzeichnet hat, werden in unzulässiger Weise Beweiswürdigung, also Erkenntnis des tatsächlichen Geschehensablaufs, und normative Bewertung vermengt und wird damit gegen § 286 Abs.1 ZPO verstoßen, wonach für die zu treffende Feststellung die richterliche Überzeugung maßgeblich ist.
Die Beklagte muss sich aber auch nicht unter wertenden Gesichtspunkten, etwa nach Treu und Glauben (§ 242 BGB), die Unterzeichnung der Ladeliste entgegenhalten lassen. Den objektiven Erklärungswert eines Tatsachen-anerkenntnisses (vgl. dazu Palandt/Sprau, wie oben, § 781 Rz.6), also eine Zeugnisses gegen sich selbst, hatte die Erklärung hier nämlich nicht. Wie es der Abzeichnung an einem prozessualen Beweiswert iSd. § 286 ZPOmangelt, hatte sie auch keinen außerprozessualen Tatsachenwert. Die Zeugin Z3 wusste oder rechnete bei Entgegennahme der Erklärung jedenfalls damit, dass sie daraus nicht auf die Vollständigkeit der Verladung schließen durfte, weil der Fahrer zur Kontrolle der Verladung keine Unterlagen in Händen hatte und allenfalls die Packstücke hätte zählen können, was aber üblicherweise von ihm nicht vorgenommen wurde.
Die Beklagten muss sich die Abzeichnung der Ladeliste durch den Fahrer ihrer Streithelferin auch nicht als widersprüchliches Verhalten gemäß § 242 BGB entgegenhalten lassen ("venire contra factum proprium", vgl. dazu Koller, wie oben, § 409Rz.27; Bästlein/Bästlein TranspR 2003, 413, 418; OLG Hamburg TranspR 1998, 351), sodass etwa eine Umkehr der Beweislast eintreten könnte. Der Zeuge Z1 schuf mit der Abzeichnung keinen Vertrauenstatbestand, der die Streithelferin der Klägerin von weiteren Kontrollen oder Sicherungsmaßnahmen zur Vollständigkeit der Verladung abhielt. Dass die Streithelferin der Klägerin die Verplombung des Fahrzeugs in die Hand des Zeugen Z1 gab, indem ihm die Plombe zur unkontrollierten Anbringung ausgehändigt wurde,zeigt zwar, dass die Streithelferin der Klägerin auf eine weitere Absicherung der Sendung verzichtete. Dass die Plombe dem Zeugen Z1zur freien Verfügung übergeben wurde, gerade weil der Zeuge Z1 den Empfang abgezeichnet hatte, ist nicht vorgetragen und auch nicht aus den Umständen ersichtlich. Es kann sich schlicht um eine Nachlässigkeit im Verhältnis zur Beklagten gehandelt haben, deren Absicherung die Anbringung der Plomben in erster Linie diente.
Die Streithelferin der Klägerin könnte sich gegenüber der Beklagten auch nicht auf das Unterlassen einer eigenen Kontrolle durch Beobachtung der Verplombung berufen, weil nach Lage der Dinge die Aushändigung der Plombe an den Zeugen Z1 zu dessen unkontrollierter Verfügung sorgfaltswidrig war. Die Beklagte hatte die Plomben, für die Streithelferin der Klägerin erkennbar, doch dieser übergeben, um ein Abhandenkommen von Sendungen im Gewahrsam des Subfrachtführers, also der Streithelferin der Beklagten,kontrollieren oder verhindern zu können. Mit der Übergabe der Plombe an den Fahrer der Streithelferin der Beklagten zur unkontrollierten Verfügung wurde dies unmöglich gemacht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO, die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr.10 und 711 ZPO.Die Revision der Klägerin bzw. ihre Streithelferin war zuzulassen,weil eine höchstrichterliche Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist (§ 543 Abs.2 Nr.2 ZPO).Die getroffene Entscheidung weicht von denen der Oberlandesgerichte Hamm, Karlsruhe und Köln (wie oben) ab. Die Abweichung ist entscheidungserheblich: Wenn man dem dort eingenommenen Rechtsstandpunkt folgen wollte, wäre nämlich die Unterzeichnung der Ladeliste auf den Erhalt der dort aufgeführten Frachtstücke zu beziehen und wäre die Abzeichnung durch den Zeugen Z1 nicht "unverschuldet" blind erfolgt. Der Zeuge hätte darauf bestehen können und müssen, vor der Abzeichnung die Ladeliste mit den auf seinem Fahrzeug befindlichen Waren abzugleichen. Bei einer sich so ergebenden Beweislastumkehr wäre eine Obhutübernahme iSd.Art.17 CMR anzunehmen, die allerdings nur zu einem nach Art.23Abs.3 CMR beschränktem Anspruch (3 Kilogramm Rohgewicht zu je 8,33Rechnungseinheiten) führen würde, weil ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten iSd. Art. 29 CMR nicht vorgetragen ist und die Beklagte einer ihr obliegenden sekundären Vortragslast entsprochen hat. Die Umstände der Übernahme und des Transports bis zur Entladung in Stadt2 sind nämlich von der Beklagten eingehend mitgeteilt, u.a. durch den Bezug auf das Fahrtendiagramm und durch die Videoaufzeichnung von der Entladung. Es kann danach nicht ausgeschlossen werden, dass die Sendung aus der Obhut der Streithelferin der Beklagten abhandengekommen ist, indem sie aus dem offenen Fahrzeug entwendet wurde. Das Unterlassen einer Sicherung ist dem Zeugen Z1 zwar vorzuwerfen, aber nicht vorsatzgleich, weil der Zeuge Z1 nach den örtlichen Verhältnissen ausreichende Anhaltspunkte hatte, auf einen günstigen Ausgang zu vertrauen. Sendungsinhalt und Sendungswert sind durch die Frachtpapiere ausreichend belegt, wie auch die Feststellung des Landgerichts zur Aktivlegitimation nicht zu beanstanden ist.
Streitwert im Berufungsverfahren: 77.180,54 €
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