Urteil des Monats: Juni 2014 | |||
"Beladen / Schaden" | |||
Für die Durchführung eines Transports typisch ist das Zusammenarbeiten bzw. das Ineinandergreifen verschiedener Organisationsabläufe der beteiligten Vertragsparteien. Exemplarisch hierfür ist die Beladepflicht. Gemäß § 412 Abs. 1 ist nämlich nicht etwa der Frachtführer verpflichtet, die Ware in sein Transportmittel zu laden vielmehr ist es Aufgabe des Absenders, das Gut beförderungssicher zu laden, zu stauen und zu befestigen. Der Frachtführer hat (lediglich) für die betriebssichere Verladung zu sorgen. Angesichts zunehmenden Zeitdrucks im Transportgewerbe kommt es jedoch immer wieder vor, dass die Vertragsparteien entgegen der eindeutigen gesetzlichen Regelung und auch entgegen den konkreten geschlossenen Vereinbarungen weitere Aufgaben übernehmen. Nicht selten übernimmt der Frachtführer die Beladung ohne hierfür eine entsprechende Weisung oder Ermächtigung des Absenders bekommen zu haben. Wer den durch eine solche misslungene Beladung hervorgerufenen Schaden ersetzen muss, hat der BGH im vorgestellten Urteil entschieden. Folgendes hatte sich - vereinfacht - zugetragen (zur Vereinfachung haben wir den Sachverhalt um einige Beteiligte und sonstige Angaben gekürzt): Die Klägerin hatte die Beklagte mit der Durchführung eines Transportes von acht Kisten technisch hochempfindlicher Geräte (Laststufenschalter) beauftragt. Der Wert einer Kiste betrug zirka 16.000 Euro. Vereinbarungsgemäß erschien der Fahrer F für die Beklagte im Lager der Klägerin. Dort belud der Lagerist L den Anhänger der Klägerin mit sechs Kisten. Aus Kapazitätsgründen sollten die zwei verbleibenden Kisten in den Motorwagen der Beklagten geladen werden. Nachdem der F hierfür den Anhänger von der Laderampe entfernt und den Motorwagen an die Rampe herangefahren hatte, begann er damit, die von L auf einem elektrischen Flurfördergerät übereinander gestapelten zwei Kisten zum Motorwagen zu verbringen, obwohl der F ein solches elektrisches Flurfördergerät zuvor noch nie benutzt hatte. Der L war hierbei nicht anwesend, auch hatte er dem F eine entsprechende Anweisung nicht erteilt. Der F fuhr mit dem Flurfördergerät fehlerhaft, nämlich vorwärts auf das Transportfahrzeug, wodurch die beiden Kisten von den Gabeln des Ladegeräts rutschten und zerstört wurden. Der BGH hatte sich umfangreich mit der Frage auseinander zu setzen, ob sich der Fall nach den frachtrechtlichen Vorschriften beurteilen lässt. Wir erinnern uns: die Beladung durch den Beklagten war weder vertraglich vereinbart worden noch gesetzlich geschuldet. Gemäß § 425 Abs. 1 Satz 1 HGB haftet der Frachtführer für den Schaden, der durch Beschädigung des Gutes in der Zeit von der Übernahme zur Beförderung bis zur Ablieferung entsteht. Problematisch war also, ob der Beklagte dadurch, dass der F pflichtwidrig die Beladung der Ware begonnen hatte, diese bereits zur Beförderung übernommen hatte. Grundsätzlich übernimmt der Frachtführer im gesetzlich vorgesehenen Normalfall erst nach Abschluss der Verladetätigkeit des Absenders, sei es mit dem Abstellen des Transportgutes auf dem Transportfahrzeug oder erst mit dem Verschließen des Transportfahrzeuges. Der BGH führte hierzu aus, dass das Gut erst dann in die Obhut des Frachtführers gelangt ist, wenn dieser es vor Schäden bewahren kann. Diese Übernahme der Sachherrschaft muss von einem entsprechenden Willen des Frachtführers getragen sein. Nach Auffassung des Gerichts war die Ware zum Zeitpunkt ihrer Zerstörung noch nicht von der Beklagten übernommen worden. Hierzu führte das Gericht aus, dass sich die Zerstörung "noch in der Einflusssphäre des Absenders", nämlich im Lager der Klägerin, ereignete. Darüber hinaus kam es dem Gericht entscheidend darauf an, dass dem beklagten Frachtführer andernfalls grundsätzlich die Haftungsbegrenzung nach § 431 HGB zu Gute käme. Dies wäre nach Auffassung des BGH aus Billigkeitsgründen nicht gerechtfertigt. Schließlich könnte der Beklagte den Rahmen der Haftungsbegrenzung ansonsten ohne Wissen des Absenders durch sein vertragswidriges Verhalten erweitern. Folglich kam der BGH daher zu einem unbegrenzten Anspruch der Klägerin gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB. Der F hatte schuldhaft einen Schaden verursacht, weil er eigenmächtig mit einem unbekannten Ladegerät die Verladung versucht hatte. Eine Haftungsbegrenzung gemäß § 433 HGB kam nach Auffassung des BGH bereits deshalb nicht in Betracht, weil nach dem Wortlaut dieser Vorschrift ein Ersatz nur für solche Schäden begrenzt ist, die nicht durch Verlust oder Beschädigung des Gutes entstanden sind. Einer anlogen Anwendung des e§ 433 HGB vermochte sich der BGH nicht anzuschließen. Die Entscheidung des BGH wirft in seiner Begründung einige Fragen auf. So hat das Gericht zwar feinsinnig die Tatbestandsvoraussetzungen des § 425 Abs. 1 HGB dargestellt, nämlich Übernahme des Gutes in den Verantwortungsbereich des Frachtführers, welche von entsprechendem Willen des Frachtführers getragen ist. Allerdings stellt das Gericht im Rahmen sein Subsumtion weniger auf die nach außen hin sichtbare Übernahme der Ware ab, sondern richtet seinen Fokus auf die zwischen den Parteien getroffene Abrede. Das Argument, die Ware sei zum Schadenzeitpunkt noch nicht in die Obhut des Beklagten gelangt, da sich das Gut noch "in der Einflusssphäre des Absenders" befunden habe, scheint fragwürdig. Schließlich war zum Zeitpunkt des Schadeneintritts offenbar weder L noch sonst eine für die Klägerin tätige Person anwesend, so dass die Begründung der tatsächlichen Sachherrschaft ebenso gut hätte bejaht werden können. Im Weiteren begründet der BGH seine Entscheidung insbesondere mit Billigkeitserwägungen: der vertragswidrig Handelnde soll hierdurch nicht in den Genuss einer Haftungsbeschränkung gelangen. Andererseits heißt es im maßgeblichen § 425 Abs. 1 gerade nicht: "der Frachtführer haftet für den Schaden, der durch Verlust oder Beschädigung des Gutes in der Zeit von der vertraglich vereinbarten Übernahme zur Beförderung […]". Folglich ließe sich u.E. ebenso vertreten, dass der F zum Zeitpunkt des unbeobachteten Bedienens des Ladegerätes die Ware übernommen hatte. Demnach hätte der Beklagte gemäß §§ 425 Abs.1, 431 Abs. 1 auf 8,33 Rechnungseinheiten pro Kilogramm begrenzt zu haften. Diese Vorgehensweise würde berücksichtigen, dass die Vertragswidrige Beladung in unmittelbarem Zusammenhang zum eigentlichen Beförderungsvertrag erfolgte. Zudem erfolgt eine, wenn auch eigenmächtige Beladung durch den Frachtführer, in der Regel auch im Zeitinteresse des Absenders bzw. des Lagerhalters. Ein Regulativ zur Haftungsbeschränkung wäre im konkreten Fall gemäß § 435 HGB möglich. Wenn der Frachtführer vertragswidrig die Verladung wertvoller Ware mit ihm unbekannten Ladegerät vornimmt, so dürfte er leichtfertig im Sinne des § 435 HGB gehandelt haben, so dass auch nach dieser vorgeschlagenen Lösung eine volle Haftung des Beklagten gegeben wäre. In jedem Falle lebt derjenige gefährlich, der vertrags- bzw. abredewidrig weitere als die von ihm geschuldeten Leistungen erbringt. | |||
Das hier besprochene Urteil ist in unserer Urteilsdatenbank mit folgenden Angaben zu finden: | |||
Aktenzeichen: | I ZR 144/12 | ||
Datum: | 28.11.2013 | ||
Link zur Urteilsdatenbank: | BGH, Urteil vom 28. November 2013, AZ: I ZR 144/12 |
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