Große (gemeinschaftliche) Haverei |
Einführung
Die Große (gemeinschaftliche) Haverei (verkehrssprachlich auch Havarie-grosse, engl. general average, franz. averie grosse oder averie commune, skandinav. haveri, holl. Avarij, ital. u. portug. avaria) regelt im Grundsatz die Verteilung von außergewöhnlichen Kosten zwischen Schiff und Ladung, die durch eine Rettung aus gemeinsamer Gefahr anfallen. Diese Kosten entstehen entweder direkt durch Aufwendungen (z.B. Schlepplohn) oder anlässlich bewusst mit Rettungsmaßnahmen durch die Schiffsführung herbeigeführter oder geduldeter Schäden am Schiff und/oder seiner Ladung (z.B. Seewurf von Decksladung). Der Havarie-grosse liegt der in seinen Grundzügen bis in die Antike zurück reichende Rechtsgedanke der Gefahrengemeinschaft zugrunde, bei der außergewöhnliche Aufwendungen und Opfer zur Abwendung einer allen Beteiligten einer Seereise drohenden Gefahr auch von allen gemeinsam getragen werden müssen und nicht nur vom zufällig unmittelbar Betroffenen allein [I].
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Havarie-grosse im Deutschen Recht
Deutsches Recht regelt die Havarie-grosse den §§ 588 – 595 des Handelsgesetzbuchs. Nach altem Recht wurde unter
uneigentliche große Haverei (§ 733 HGB), die zwei besondere Fälle umschreibt, die nach der grundsätzlichen Definition zwar keine Havarie-grosse-Fälle sind, diesen aber gesetzlich gleichstellt werden – | |
kleine Haverei (§ 621 II aF HGB), die ungewöhnliche Kosten behandelt, die ohne unmittelbare Gefahrenlage entstehen können und die generell dem Verfrachter zugewiesen werden, der sie in die Frachtrate einzukalkulieren hat. In vergangenen Zeiten gab es auch hier eine Verteilungsregelung, die heute aber nicht mehr üblich ist. Die Bezeichnung kann deshalb allenfalls noch als Traditionsbegriff gelten [II]– | |
besondere Haverei (particular average; avarieparticuliere), die mit § 701 HGB die nach großer- und kleiner Haverei verbleibende Fallgruppe von Schäden bestimmt bzw. verdeutlicht, die jeder Beteiligte stets für sich selbst zu tragen hat. |
Diese Regelungen gelten seit Inkrafttretten des neuen Handelsbuchs nicht mehr.
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Die York and Antwerp Rules
Andere nationale Rechte regeln die Havarie-grosse auf eigene, durchaus unterschiedliche Weise. Durch die verschiedenen denkbaren Anknüpfungspunkte und den damit möglichen Kollisionen nationaler Rechtsordnungen (z. B. zwischen dem Recht der Flagge, dem Recht des Ankunftsortes, des Nothafens, etc.) gab es schon vor 1860 in England Bestrebungen hin zu einer durch internationale Übereinkommen geregelten Rechtsvereinheitlichung. Nach dem Scheitern dieser Bemühungen wurden die 1877 von einem internationalen Kongress erarbeiteten York and Antwerp Rules (YAR) mit der Empfehlung verabschiedet, sie in den jeweiligen Seefrachtverträgen zu vereinbaren, was in der Praxis inzwischen so gut wie ausnahmslos [III] geschieht. Nach etlichen überarbeiteten Fassungen [IV] liegen derzeit die YAR 1994 vor, die sich gegenüber der Fassung von 1974 (YAR 1974) aber nur zögerlich durchsetzen, weil sie neue Regelungen enthalten, die von Reedern als nachteilig angesehen werden [V].
[Am 04. Juni 2004 wurden die YAR 2004 durch das Comité Maritime International (CMI) bestätigt.]
Üblicherweise ist die jeweils notwendige Vereinbarung der YAR in den Konnossementsbedingungen und Charterverträgen dokumentiert. Mit ihrer Vereinbarung wird nationales Recht nicht generell ausgeschlossen, sondern lediglich bei dispositiven Abweichungen (die Regeln der §§ 700-733 HGB sind dispositiv [VI]) den Regeln der YAR Vorrang eingeräumt. [VII] Regelungslücken der YAR sind damit wiederum durch die gemäß den Grundsätzen des internationalen Privatrechtes anwendbaren nationalen Gesetze zu schließen [VIII].
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Voraussetzungen der großen Haverei
Damit die Regelungen der großen Haverei wirksam werden können, müssen verschiedene Bedingungen erfüllt sein:
Eine gegenwärtige oder unmittelbar bevorstehende erhebliche Gefahr [IX] bedroht Schiff, Treibstoff und Ladung gemeinsam (z.B. Strandung oder Strandungsgefahr, Brandausbruch). Isoliert nur das Schiff [X] oder nur die Ladung bedrohende Gefahren (z.B. Insektenbefall einer Teilladung) schließen die Havarie-grosse aus [XI]. | |
Eine außergewöhnliche [XII] Abwendungsmaßnahme erzeugt bewusst in Kauf genommene Schäden, die das Schiff, den Treibstoff und/oder die Ladung treffen (z.B. Seewurf, um das gestrandete Schiff zu leichtern, Fluten einer Luke mit einem brennenden Gefahrengut-Container) oder Kosten (z.B. Leichterkosten, Bergelohn). Eine schädigende Maßnahme muss den Schaden aber nicht zielgerichtet herbeigeführt haben wollen, ausreichend ist bewusstes Eingehen eines Schadenrisikos, das sich dann verwirklicht hat. Unbeabsichtigte oder ohnehin unabwendbare Schäden scheiden hingegen aus (z. B. Seewurf brennender oder verdorbener Ladung) [XIII]. | |
Mit den außergewöhnlichen Opfern muss die finale Rettung aus der gemeinsamen Gefahr bezweckt worden sein. Maßnahmen, die z. B. im Bewusstsein des unvermeidlichen Schiffsverlustes lediglich dem Erreichen einer für die Ladungsabbergung günstigeren Stelle dienen, schließen die Havarie-grosse auch dann aus, wenn zuletzt wider Erwarten auch das Schiff gerettet wird [XIV]. |
Die den Notfall auslösenden Ursachen spielen keine Rolle, also auch nicht, wenn die Ursache in einem Verschulden Beteiligter lag (z. B. grobes Versagen der Schiffsführung, Falschdeklaration gefährlicher Ladung). Dies kann lediglich Auswirkungen auf Ausgleichsansprüche dieser Beteiligten an die sonstigen Beteiligten haben. Sonstige Schadenersatzansprüche der Beteiligten gegeneinander bleiben dabei unberührt [XV].
Als sogenannte stellvertretende Havarie-grosse-Kosten sind Aufwendungen einbezogen, die zur Vermeidung bzw. Minderung echter eigentlicher Havarie-grosse-Kosten geleistet wurden [XVI] (muss z. B. das Schiff zur Reparatur entladen werden, kann der Weitertransport auf einem anderen Schiff anstelle des Abwartens der Reparatur den Verzögerungsschaden verkleinern). Mit dieser Ausnahmeregelung werden ökonomisch günstige Lösungen zu Lasten des Grundsatzes honoriert, dass Havarie-grosse-Pflichten eigentlich nur bis zur endgültigen Trennung von Schiff und Ladung entstehen können.
Die Notwendigkeit einer Aufopferung oder zu Aufwendungen wird von der Schiffsführung (Kapitän oder Stellvertreter) festgestellt, wobei es bis zur YAR 1994 nur erforderlich war, dass eine ausreichend sorgfältige Einschätzung des voraussichtlichen Gefahrenverlaufes und der Zweckmäßigkeit der Rettungsmaßnahmen vorgenommen wurde. Lag die Notwendigkeit in der Nachschau objektiv nicht vor, ohne dass der Schiffsführung die Fehleinschätzung wirklich schuldhaft vorgehalten werden konnte, konnte gleichwohl große Haverei gegeben sein [XVII]. Die Auswahl einer kostspieligeren Alternative als möglich oder die "Ausuferung" der Opferschäden über das objektiv notwendige Maß hinaus konnte der Schiffsführung auf jeden Fall nicht entgegengehalten werden.
Mit der Neufassung 1994 wird jetzt allerdings durch eine neu aufgenommene Leitregel ("rule paramount") die Einbeziehung "unvernünftiger" ("unless reasonable made") Aufopferungen ausgeschlossen, die nach der Entstehungsgeschichte anscheinend auf eine objektive Beurteilung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten in der Nachschau abzielt [XVIII]. Darin wird einer der Gründe für den weiteren Gebrauch der YAR 1974 durch die Reeder gesehen, die durch die Neufassung einen Ausschluss bestimmter Schiffsschäden durch objektive Fehlleistungen Ihrer Schiffsführungen fürchten [XIX].
Außer dem Einschluss des Non-Separation Agreements (s.u.) und einer Regelung für Schlepp- und Schubverbände (Neufassung Regel B) haben die revidierten YAR 1994 im wesentlichen nur Klarstellungen erbracht. Beispielsweise sind Umweltschäden jetzt ausdrücklich nicht Havarie-grosse-fähig [XX], andererseits unterfallen Kosten zur Vermeidung solcher Schäden u.U. wieder der Havarie-grosse [XXI].
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Verfahren
Lagen alle Voraussetzungen eines echten Havarie-grosse-Falles vor, müssen die durch Aufopferung entstandenen Schäden ermittelt [XXII] und auf die Beteiligten im Verhältnis ihrer geretteten Werte aufgeteilt werden. Diese sehr komplexe Aufgabe der Ermittlung der maßgeblichen Werte und ihrer Beteiligung wird i.d.R. durch als "Dispacheure" bezeichnete Spezialisten wahrgenommen, die einen Verteilungsplan ("Dispache") erstellen ("aufmachen"). Die Dispacheure fungieren dabei als spezialisierte Sachverständige [XXIII]. Sie werden im Regelfall vom Reeder beauftragt und ihre Gebühren zählen zu den Havarie-grosse-Kosten. Ergeben sich Meinungsverschiedenheiten, steht (in Deutschland) jedem Beteiligten frei, die Dispache in einem besonderen Verfahren [XXIV] vor dem örtlich zuständigen Amtsgericht verhandeln zu lassen.
Die Hauptbestandteile der Dispache sind:
die Darstellung des Unfallherganges, | |
die Kostenaufstellung der Havarie-grosse, | |
die Aufstellung der beitragspflichtigen Werte von Schiff und Ladung, | |
die Abrechnung der Beiträge und Vergütungen. |
Das Rechtsinstitut der Havarie-grosse steht seit Jahren in der Kritik der Beteiligten Wirtschaft, die insbesondere auf ein Missverhältnis zwischen Aufwand und Ergebnis verweist, das das Verfahren als nicht mehr zeitgemäß erscheinen lassen könnte [XXV].
Tatsächlich erzeugt die Beteiligung oftmals mehrerer hundert Ladungsbeteiligter in einem sich oft über mehrere Jahre hinziehenden Verfahren Kosten und Zinsen, die selbst bis zu 25% der Gesamtschadensumme erreichen können [XXVI] und erhebliche Kapitalbeträge nutzlos binden. Das Missverhältnis wächst mit der verhältnismäßigen Geringfügigkeit der Schäden. Deshalb enthalten die Kaskopolicen großer Flotten oftmals eine Vereinbarung, dass Havarie-grosse-Kosten unterhalb bestimmter Beträge von den Kaskoversicherern allein übernommen werden [XXVII].
Eine radikale Ansicht hält sogar die gänzliche Abschaffung der Havarie-grosse ohne gravierende Folgen für denkbar [XXVIII], die Diskussion darüber hat sich jedoch mit den YAR 1994 vorerst erledigt.
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Dokumente
Nach seiner Bestellung benachrichtigt der Dispacheur sämtliche Ladungsbeteiligte von der Havarie-grosse-Erklärung des Schiffes und fordert sie zur Abgabe eines Havarie-grosse-Verpflichtungsscheines ("General Average Bond") (8 KB) auf. Mit diesem verpflichtet sich ein Ladungsbeteiligter zur Zahlung seiner Havarie-grosse-Beiträge. Da dem Reeder diesbezüglich ein Pfandrecht an der Ladung zusteht, wird er sie erst freigeben, wenn er dafür wenigstens diesen als Ersatzsicherheit gezeichnet bekommen hat. Die Qualität des Verpflichtungsscheines ist von der Bonität des Verpflichteten abhängig, die der Reeder meist nicht einschätzen kann. Als weitergehende Sicherung wird deshalb häufig auch die Gegenzeichnung des Ladungsversicherers, eine separate Garantie, eine separate Bankgarantie oder ein Bareinschuss für bereits feststehende Kosten verlangt. Das ausgeprägte Sicherungsinteresse des Reeders erklärt sich nicht nur durch die Sicherung eigener Ansprüche an die Havarie-grosse-Gemeinschaft sondern wird auch vor dem Hintergrund verständlich, dass er als gesetzlicher Vertreter der Havarie-grosse-Gemeinschaft dieser im Innenverhältnis für verlorene Beiträge durch die Herausgabe von Ladung ohne hinreichende Ersatzsicherheit haftbar sein kann [XXIX].
Zur Ermittlung der Werte müssen die Ladungsbeteiligten die Handelsrechnung vorlegen. Mit dieser wird der maßgebliche tatsächlichen Nettowert der Güter am Bestimmungsort [XXX] ermittelt. Rechnungsbeträge z. B. auf fob-Basis müssen entsprechend erhöhend ergänzt werden, Schäden und andere Wertverluste werden mindernd berücksichtigt. Die vor den YAR 1974 gebräuchliche Werterklärung ("Valuation Form") der Ladungsbeteiligten hat keine Funktion mehr, kommt in der Praxis aber immer noch vereinzelt vor.
Die Zeichnung eines Non-Separation Agreement (7 KB) verpflichtet Ladungsbeteiligte nach den YAR 1974 auch über den konkreten Zeitpunkt der Auslieferung der Ladung hinaus zur Beteiligung an z. B. fortdauernden Nothafenkosten, z. B. wenn die Ladung aus wirtschaftlichen Gründen für den Rest der Reise auf ein anderes Schiff umgeladen wurde. Mit den YAR 1994 ist diese Regelung eingeschlossen [XXXI] und braucht nicht mehr gesondert vereinbart werden.
Die Havarie-grosse-Einschussquittung ("General Average Deposit Receipt") (9 KB) stellt der Dispacheur den Beteiligten aus, die vor Abschluss des Dispacheverfahrens eingeschossen haben.
Mit einer General Average Guarantee (8 KB) verpflichtet sich ein Dritter (z.B. ein Transportversicherer) gegenüber der Havarie-grosse-Gemeinschaft direkt für einen Beteiligten. Die Zeichnung durch den Transportversicherer sollte die sorgfältige Prüfung des entsprechenden Deckungsumfanges voraussetzen, denn Einwendungen aus dem Versicherungsvertrag können der Haverie-grosse-Gemeinschaft ggf. nicht entgegengehalten werden. Maßgeblich ist dann nur noch der Frachtvertrag.
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Warenversicherung und Havarie-grosse
In der Güterversicherung verweisen die §§ 29, 31 Abs.1 ADS direkt auf die Erstattungspflichten des Versicherers einerseits hinsichtlich seiner Beiträge zur Havarie-grosse und anderseits hinsichtlich der Schäden, die dem Versicherungsnehmer durch Aufopferung der versicherten Güter entstanden sind. Gegenüber den Aufwendungen des § 32 ADS begrenzt dabei die für die Havarie-grosse einschlägige Aufopferung nach § 31 ADS die Erstattungspflicht auf die Versicherungssumme. Dafür muss der Versicherer dem Versicherungsnehmer die Havarie-grosse-Aufopferung sofort, d.h. vor Abschluss des zeitaufwendigen Dispacheverfahrens, ersetzen [XXXII].
Für den beitragspflichtigen Versicherungsnehmer hat der Versicherer auf Verlangen gegenüber der Beteiligtengemeinschaft Sicherheit (Bürgschaft) zu stellen, § 29, I ADS i.V.m. 1.5.2. ADS Güterversicherung 1973 / 2.3.4. DTV-Güterversicherungsbedingungen 2000. Der Versicherungsnehmer hat, soweit sich die Forderung des Average Bonds auf den Rahmen der Versicherungssumme und den Haftungsrahmen des Versicherungsvertrages begrenzen lässt, diesen oder eine separate Verpflichtungserklärung zu zeichnen. Wird dies jedoch vom Verfrachter als unzureichend angesehen, ist der Versicherer zu keinen weiteren Maßnahmen verpflichtet.
In der Praxis werden allerdings den Versicherern unbeschränkte Verpflichtungsscheine (s.o. "General Average Guarantee") ohne Vorbehalte abverlangt, bei denen es Sache der Versicherer bleibt, sich mit einer Gegengarantie des Versicherungsnehmers Ansprüche absichern zu lassen, die den Rahmen des Versicherungsvertrages sprengen.
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Seekaskoversicherung und Havarie-grosse
Die wichtigste Einschränkung des Ersatzes der Beitragspflicht des Schiffseigners nach § 29 ADS besteht in der Beschränkung auf Kostenersatz von Aufwendungen, die zur Rettung aus der Gefahr vor versicherten Schadenereignissen dienten [XXXIII]. Dies trifft nur zu, wenn der Havarie-grosse-Fall auch Versicherungsfall in dem Sinne ist, dass er nicht hinweg gedacht werden könnte, ohne dass der drohende Schaden entfiele. Wären in einer Kaskopolice also Feuerschäden ausgeschlossen und wird eine brennende Luke geflutet, um das Schiff und die übrige Ladung zu retten, sind zwar die Voraussetzungen des Havarie-grosse gegeben; die Beiträge des Reeders wären unter dieser Kaskopolice aber nicht zu erstatten, weil auslösende Schadenursache auch des Wasserschadens der unversicherte Brandfall wäre. Andererseits bieten die ADS (§29 Abs.29) auch Versicherungsleistungen entsprechend den Regeln der Havarie-grosse, wenn der Versicherungsnehmer ausschließlich eigene Güter abgeladen hat.
Die den ADS vorangehenden DTV-Kaskoklauseln 1978 lassen auch in ihrer neuesten Fassung August 1994 bei einer Dispachierung nach YAR "im Zweifel" immer noch die YAR-Fassung von 1974 gelten (Nr.35.1).
Sie gewähren dem Versicherungsnehmer mit leichten Einschränkungen auch dann Ausgleich nach den Regeln der YAR 1974, wenn das Schiff ohne Ladung oder ausschließlich Güter des Versicherungsnehmers verladen hat. Mit Nr. 35.2 sind außerdem Havarie-grosse-Beiträge auf aufgeopferte Decksladung (Ausschluss gem. § 62 ADS) wieder eingeschlossen, wenn die Decksverladung handelsüblich war (wie z.B. bei Holz oder gefährlichen Chemikalien [XXXIV]).
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Die Havarie-grosse in der Binnenschifffahrt
Die Havarie-grosse der Binnenschifffahrt ist in den § 78 Binnenschifffahrtsgesetz (BinSchG) geregelt. In einer gewissen rechtstechnischen Parallele zu den YAR der Seeschifffahrt stehen in der Binnenschifffahrt die Regeln der Internationalen Vereinigung der Rheinschifffahrtsregister (IVR), die sog. Rheinregeln 1979. Deren vertragliche Einbeziehung ist in der westeuropäischen Binnenschifffahrtspraxis zwar verbreitet, aber nicht bei allen größeren Reedereien üblich. Dies gilt vor allem für die ehemaligen Staatsreedereien im Donauraum, die mit dem "Bratislavaer Abkommen" über eingeführte eigene Havarie-grosse-Regeln verfügen [XXXV].
Die Grundsätze und Regeln der Binnenschifffahrts-Havarie-grosse sind in großen Teilen mit denen des Seehandelsrechtes identisch und verweisen in $ 78 Abs. 3 BinSchG auf die $$ 589-592, 594, 595 des HGB. Es gibt jedoch Abweichungen, die durch die besonderen Verhältnisse in der Binnenschifffahrt bedingt sind [XXXVI].
Spielt nach den gesetzlichen Regelungen (§ 588 HGB, § 78 BinSchG) die Willensrichtung und Anordnung der Schiffsführung eine entscheidende Rolle [XXXVII] für die Einordnung von (Opfer-)Schäden unter die Havarie-grosse (s.o.), können nach den Rheinregeln Havarie-grosse-Kosten schon dann entstehen, wenn die (Opfer-)Maßnahmen durch eine beliebige urteilsfähige Person veranlasst oder durchgeführt wurden [XXXVIII]. Das gilt insbesondere für das Befolgen behördlicher Anordnungen (z. B. durch den Eigner oder den Versicherer). Wesentlich ist lediglich, dass diese Maßnahmen auch ohne behördliche Anordnung durchgeführt worden wären, um Schiff und Ladung zu retten.
Letzteres ist deswegen bemerkenswert, weil behördliche Anordnungen regelmäßig nur der Wahrung öffentlicher Interessen zu dienen haben (z. B. der Verhinderung eines Blockierens der Fahrrinne oder einer Ölverschmutzung) und die Rettung von Schiff und Ladung dabei dann nur ein eher zufälliger Nebeneffekt sein kann.
In einer ergebnisorientierten Betrachtung reicht es für die Annahme der Havarie-grosse also aus, dass Aufopferung oder Kostenübernahme in der Nachschau dem entsprachen, was eine verständige Schiffsführung angesichts der Gefahr für Schiff und Ladung auch angeordnet hätte. Es scheint dabei also belanglos zu sein, dass die Maßnahmen u.U. eine andere Zielrichtung hatten als die Rettung von Schiff und/oder Ladung.
Sowohl die YAR als auch die Rheinregeln gestatten die Havarie-grosse auch bei einem Totalverlust des Schiffes. Die Rheinregeln nehmen diese Möglichkeit für den Sonderfall des Schiffstotalschadens in der Folge absichtlichen Aufgrundsetzens aber wieder zurück. Ausschlaggebend dafür sind Missbrauchsüberlegungen [XXXIX].
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Binnenschiffkaskoversicherung und Havarie-grosse
Soweit vereinbart, regelt sich der Eintritt der Kaskoversicherer in die Havarie-grosse-Verpflichtung des Versicherungsnehmers mit Nr. 5 der Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung von Flusskasko-Risiken 2000/2013 (AVB Flusskasko 2000/2013) (Fassung August 2013).
Wird das versicherte Binnenschiff durch Havarie-grosse-Maßnahmen beschädigt, hat der Versicherungsnehmer zu aller erst Anspruch auf Ersatz nach den üblichen Kasko-Bedingungen.
Aufopferungsschäden sind also zunächst Partschäden des betroffenen Schiffes [XLI]. Der Vorteil für den Versicherungsnehmer liegt in der unverzüglichen (Versicherungs-) Schadenabwicklung ohne Berücksichtigung seines Havarie-grosse-Beitrages oder Ankopplung an die oft zeitraubende Aufmachung der Dispache. In den Fällen solcher Substanzschäden liegt das Interesse am weiteren Verlauf des Havarie-grosse-Verfahrens folglich vorwiegend beim Versicherer.
Für Havarie-grosse-Aufwendungen außerhalb von derartigen Substanzschäden bleibt die Erstellung einer Dispache Voraussetzung der Versicherungsleistung, wobei eine entsprechend den Rhein-Regeln aufgemachte Dispache der nach BinSchG aufgemachten gleichgestellt ist (Nr. 5.1). Maßgeblich für die Eintrittspflicht und den Umfang derselben bleibt jedoch der Versicherungsvertrag mit eventuellen Ausschlüssen und seiner Versicherungssumme [XLII]. Wieder sind nur Beiträge zur Havarie-grosse versichert, soweit Opferschäden zur Abwendung einer versicherten Gefahr dienten (Nr. 5.4). Versicherungsschutz nach den Regeln der Havarie-grosse wird (wie bei einem Seeschiff unter § 29 Abs.2 ADS) aber auch dann gewährt, wenn das Schiff ausschließlich Ladung des Versicherungsnehmer abgeladen hat (Nr. 5.3). Anders als nach den DTV-Kaskoklauseln für Seeschiffe (s.o.) ist für ein Binnenschiff ohne Ladung eine (Versicherungs-) Schadenberechnung nach Havarie-grosse-Regeln nicht vorgesehen [XLIII].
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