3.5 Komplexe Sicherungsanordnungen |
3.5.5 Sichern von überbreiten LadungenNormale Straßenfahrzeuge haben generell eine Ladefläche von ca. 2,55 m Breite. Ladungseinheiten mit einer größeren Breite und ohne eigene Zurrpunkte werden häufig ausschließlich mit Niederzurrungen gesichert, obwohl diese Methode hierfür als unsicher und unzureichend gilt. Allerdings beruht diese Ansicht zum Teil auf der stark vereinfachten Bewertung von Niederzurrungen, welche nur die Vertikalkomponenten der Zurrkräfte reibungserhöhend in Rechnung stellt. Tatsächlich aber besteht bei überbreiten Ladungen gegenüber normalbreiten ein gewisser Vorteil darin, dass die beiden zusätzlichen Umlenkungen des Zurrmittels über die unteren Kanten der Ladungseinheit eine verstärkte sekundäre Sicherungswirkung entstehen lassen, welche die Primärwirkung deutlich übertrifft. Die bestehenden Richtlinien und Normen gehen nicht auf die Sicherung überbreiter Ladungen ein. Deshalb wird in der nachstehenden Abhandlung dargestellt, welche tatsächliche Sicherungswirkung gegen Rutschen und gegen Kippen quer zur Ladefläche von der Niederzurrung einer solchen überbreiten Ladungseinheit zu erwarten ist. Dabei wird die Euler’sche Reibung an den Umlenkungsstellen der Niederzurrung berücksichtigt. Im Anschluss daran werden wirksamere Direktzurrungen von überbreiten Ladungen vorgestellt. Von den praktischen Möglichkeiten, eine überbreite Ladungseinheit ohne Zurrpunkte durch Niederzurrung zu sichern, werden zwei Fälle herausgegriffen. Die Ladungseinheit wird hier durch eine große Holzkiste dargestellt. Das Straßenfahrzeug ist meist ein Tieflader. Die Möglichkeit A verwendet einen üblichen zweiteiligen Zurrgurt. Die Spannratsche sitzt wegen der Kürze dieses Gurtabschnitts an einer der Unterseiten der Kiste. Bei der Möglichkeit B werden zwei lange Gurtabschnitte miteinander verbunden und die Enden in zwei Spannratschen eingeführt, die ebenfalls an beiden Unterseiten der Kiste sitzen. Abbildung 3.27: Möglichkeiten A und B zur Niederzurrung überbreiter Ladung [H. Kaps] Die Gurtspannungen in den Ausgangssituationen sind bereits etwas unsicher. Wegen der Kürze der Abschnitte mit der Ratsche ist nicht zu erwarten, dass sich dort nach dem Loslassen des Hebels die auf dem Etikett des Gurts angegebene Vorspannkraft STF einstellen wird, sondern ein kleinerer Wert. Das spielt aber für das Spannungsniveau im gesamten Gurtverlauf eben wegen der Kürze dieser Spannabschnitte keine große Rolle. Für die Zurrmöglichkeit A ist es deshalb berechtigt, – gegebenenfalls nach geringem Rutschen der Ladungseinheit – anzunehmen, dass sich folgende Kräfte in den beiden Endabschnitten einstellen: Belastungsseite: $ S_{TF} $ [daN] Gegenseite: $ S_{TF} \cdot e^{- \mu_G \cdot 2 \cdot (\pi – \alpha)} $ [daN] Die Sicherungswirkung des Gurts gegen weiteres Rutschen ist damit: $ SW = S_{TF} \cdot \mu \cdot ( 1 + e^{- \mu_G \cdot 2 \cdot (\pi – \alpha)} ) \cdot sin\alpha + S_{TF} \cdot ( 1 – e^{- \mu_G \cdot 2 \cdot (\pi – \alpha)} ) \cdot cos\alpha $ [daN] Bei der Zurrmöglichkeit B besteht wegen der beidseitigen Vorspannung von vornherein ein höheres Spannungsniveau im gesamten Gurtverlauf. Wegen der Kürze der Gurtabschnitte mit Spannmittel gegenüber den längeren Abschnitten ohne Spannmittel beträgt die Steigerung aber nur etwa 20%. So zeigen sich – gegebenenfalls nach geringem Rutschen der Ladungseinheit – vereinfacht folgende Kräfte in den beiden Endabschnitten: Belastungsseite: $ 1,2 \cdot S_{TF} $ [daN] Gegenseite: $ 1,2 \cdot S_{TF} \cdot e^{- \mu_G \cdot 2 \cdot (\pi – \alpha)} $ [daN] Die Sicherungswirkung des Gurts gegen weiteres Rutschen ist damit: $ SW = 1,2 \cdot S_{TF} \cdot ( ( 1 + e^{- \mu_G \cdot 2 \cdot (\pi – \alpha)}) \cdot \mu \cdot sin\alpha + ( 1 – e^{- \mu_G \cdot 2 \cdot (\pi – \alpha)}) \cdot cos\alpha ) $ [daN] Zur einfacheren Anwendung dieser Formeln wird nachstehend eine Tabelle geliefert, aus der die Werte für $ c = e^{- \mu_G \cdot 2 \cdot (\pi – \alpha) }$ entnommen werden können. Dabei ist der Zurrwinkel α stets der Winkel zwischen dem Endabschnitt des Gurts und der Horizontalen, wie in Abb. 3.27 gezeigt. Das gilt auch für zylinderförmige überbreite Ladungen. Die Formeln für die Sicherungswirkungen lauten dann: Ein Spannmittel: $ SW = S_{SF} \cdot (( 1 + c ) \cdot \mu \cdot sin\alpha + ( 1 – c ) \cdot cos\alpha ) $ [daN] Zwei Spannmittel: $ SW = 1,2 \cdot S_{SF} \cdot (( 1 + c ) \cdot \mu \cdot sin\alpha + ( 1 – c ) \cdot cos\alpha ) $[daN]
Für die Einschätzung der Sicherungswirkung der Niederzurrung in Fahrtrichtung sollte das Ergebnis noch mit 0,9 multipliziert werden, um in Übereinstimmung mit der Norm DIN EN 12195-1:2011 zu bleiben. Beträgt der Zurrwinkel mehr als 80°, sollte die Berechnung nach den Formeln für normalbreite Ladungen durchgeführt werden (siehe Kapitel 4.1.1). Werden Spannmittel nicht in den Endabschnitten des Gurts, sondern in den seitlichen Abschnitten der Niederzurrung oder oben auf der Ladung eingesetzt, ergeben sich noch etwas günstigere Sicherungswirkungen, weil dann das Vorspannungsniveau in der Niederzurrung insgesamt höher ausfällt. Eine weitere Erkenntnis ist, dass die erweiterte Sicherungswirkung deutlich ansteigt, wenn der Reibbeiwert μG zwischen Zurrgurt und Ladung vergrößert wird. Die Anwendung der gezeigten Formeln wird an zwei Beispielen demonstriert. Seitenanfang Niederzurren gegen KippenDie Niederzurrung einer überbreiten Ladungseinheit als Sicherung gegen Kippen ist ein unsicheres Unterfangen, weil beim Rutschen und beim Kippen unterschiedliche Seiten der Niederzurrung belastet werden. Um diesen ungewöhnlichen Sachverhalt deutlich zu machen, wird auf Abb. 3.28 Bezug genommen. Abbildung 3.28: Zurrkräfte beim Rutschen und beim Kippen [H. Kaps] Im linken Bild rutscht die Ladung mit ansteigender Trägheitskraft zunächst geringfügig nach links und baut auf der linken Seite die Zurrkraft FL auf, während rechts die kleine Restkraft FR verbleibt, die sich aus der Kantenreibung nach Euler ergibt. Diese Restkraft liefert nur ein kleines Moment gegen das Kippen nach links. Die Ladungseinheit wird zügig ankippen. Im rechten Bild rutscht die Ladung wegen möglicherweise etwas größerer Reibung zunächst nicht und kippt stattdessen leicht an. Durch die auftretende Verlängerung des unteren rechten Gurtabschnitts baut sich rechts die Zurrkraft FR auf, während links die kleine Restkraft FL erscheint. Welches Gleichgewicht sich sodann einstellt, ist fraglich, weil diese Kräftekonstellation ihrerseits das Rutschen begünstigt. Diese Unbestimmtheit des Ladungsverhaltens und der insgesamt kleine Hebel r des kippsichernden Moments machen die Niederzurrung zur Kippsicherung unberechenbar und damit untauglich. Alternative Methoden zur Sicherung überbreiter Ladungen beruhen auf dem Prinzip der Direktzurrung, wie sie unter 3.4 beschrieben worden sind. Abb. 2.29 zeigt Buchtlaschings und an Kopfschlaufen eingehängte Direktzurrungen, die zur Sicherung gegen Rutschen und gegen Kippen quer zum Fahrzeug dienen. Die Sicherung in Längsrichtung ist auf ähnliche Weise möglich. Abbildung 3.29: Sichern mit Buchtlaschings und Kopfschlaufen [H. Kaps] Die Sicherungswirkung der Direktzurrungen wird an dieser Stelle exemplarisch zum Vergleich mit der sehr dürftigen Wirkung der oben behandelten Niederzurrungen berechnet. Weitere Sicherungsalternativen setzen die Verwendung besonderer Hilfsmittel voraus. Mit speziellen Eckbeschlägen kann eine sehr wirksame Sicherung überbreiter Kisten gleichzeitig in Längs- und Querrichtung erreicht werden. In Abb. 3.30 wird eine derartige Anordnung auf einem Flatrack für den Seetransport gezeigt. Das System ist ohne weiteres auch auf einem Tieflader für den Straßenverkehr anzuwenden, wenn dieser geeignete Zurrpunkte hat. |