Ableitung: Kraftverteilungen in Niederzurrungen
Aufsatz von Prof. Hermann Kaps:
Sichern von überbreiten Ladungen im Straßenverkehr

Die nachstehenden Überlegungen sind grundsätzlicher Art und beschäftigen sich mit der Kraftverteilung in Niederzurrungen unter Beachtung der Euler’schen Kantenreibung. Um die Erkenntnisse möglichst allgemein nutzen zu können, werden die Überlegungen an der Zurr-geometrie einer überbreiten Ladung angestellt.


Abbildung - Sichern von überbreiten Ladungen im Straßenverkehr

Bild 1: Niederzurrung einer überbreiten Ladungseinheit

Bild 1 zeigt die Niederzurrung einer überbreiten Ladung mit den Gurtabschnitten 1 bis 5 und den Umlenkstellen a bis d. Die Position der Spannvorrichtung (Ratsche) ist noch nicht festgelegt. Als Zurrwinkel α wird der Winkel zwischen Ladefläche und dem jeweils untersten Gurtabschnitt bezeichnet. Das hat den Vorteil, dass die Vertikalkomponenten dieser Gurtabschnitte, wie von unterbreiter Ladungen gewohnt, mit dem Sinus des Zurrwinkels bestimmt werden können.


Mögliche Kraftunterschiede

Wegen der Möglichkeit des Rutschens des Gurts an den Umlenkstellen können sich benachbarte Kräfte nicht beliebig unterscheiden. Für sie muss die Bedingung erfüllt sein:

Fn =Kraft in einem Gurtabschnitt [daN]
μL = Reibbeiwert zwischen Zurrgurt und Ladung
β = Winkeländerung des Gurts an der Ladungskante [rad]

Beispiel: Mit β = 75° und μL = 0,2 ist c = 0,77 und 1/c = 1,30. Die Verhältnisse benachbarter Kräfte müssen hier also zwischen 0,77 und 1,30 liegen.


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Vollständiger Kraftausgleich

Annahme: In den fünf Abschnitten der gezeigten Niederzurrung herrschen die fünf unterschiedlichen Kräfte F1, F2, F3, F4 und F5. Die zuvor genannten Bedingungen für benachbarte Kräfte sollten im Sinne eines statischen Gleichgewichts eingehalten sein. Es ist aber nicht grundsätzlich erforderlich.

Ausgehend von den fünf unterschiedlichen Kräften soll festgestellt werden, welche einheitliche Kraft F0 im Gurt herrscht, wenn sich die Unterschiede – auf welche Weise auch immer – vollständig ausgeglichen haben, ohne dass an dem Gurt etwas geändert wurde.

Der Kräfteausgleich vollzieht sich durch kleine Rutschstrecken des Gurts an den vier Kanten der Ladungseinheit, durch welche sich die vorgespannten Gurtlängen in den einzelnen Abschnitten so verlängern oder verkürzen, dass der Kräfteausgleich stattfindet. Diese Rutschstrecken werden mit ΔLa,b,c,d bezeichnet. Die zugehörigen Kraftänderungen lassen sich über die Federkonstanten D1,2,3,4,5 der fünf Gurtabschnitte bestimmen. Diese Federkonstanten ergeben sich aus der normierten, auf 1 m Gurtlänge bezogenen Federkonstante DN nach der Gleichung:

Für die einheitliche Kraft F0 gelten die fünf Gleichungen:

Die einzelnen Kraftänderungen ΔFi werden nun genauer untersucht. Es gilt:

Die Ausdrücke für ΔLa und ΔLd werden in die Gleichungen für ΔF2 und ΔF4 eingesetzt:

Die Ausdrücke für ΔLb und ΔLc werden in die Gleichung für ΔF3 eingesetzt:

Daraus wird geordneter:

Die Federkonstante Di ist jeweils umgekehrt proportional zu Länge Li jedes Gurtabschnitts. Die normierte Federkonstante DN ist für jeden Gurtabschnitt gleich. Somit erhält man:

Multipliziert man jede der fünf Gleichungen für die gesuchte Kraft F0 mit der zugehörigen Länge Li, so erhält man:

Diese fünf Gleichungen werden addiert, wobei die Summe der gewichteten Kraftänderungen gleich Null ist und damit nicht mehr in Erscheinung tritt.

Damit wird F0 bestimmt zu:

Diese Lösung ist überraschend einfach und elegant. Sie ist von der Elastizität des Gurts unabhängig. Aber dabei darf nicht übersehen werden, dass in der Herleitung der Formel eine einheitliche normierte Federkonstante DN über die gesamte Gurtlänge vorausgesetzt wurde. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, wird die Lösungsformel etwas komplizierter.

In der Praxis wird in einem oder sogar zweien der Gurtabschnitte ein Spannmittel eingefügt sein. Diese Spannratschen besitzen eine wesentlich größere Federkonstante als der Gurt. Für praktische Belange kann die Ratsche als ideal steif angesehen werden. Ihre Länge ist dann von der Abschnittslänge des Gurts abzuziehen.


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Größtmöglicher Kraftunterschied

Annahme: Es herrscht die einheitliche Kraft F0 in allen Teilen der Niederzurrung. Eine kleine Ladungsbewegung zu einer Seite lässt die Kraft in den Endabschnitten des Gurts auf der einen Seite zu und auf der anderen Seite abnehmen. In den übrigen Abschnitten liegen die Kräfte dazwischen. Wenn die Kräfte zueinander in der festen Beziehung der Euler’schen Kantenreibung stehen, ändern sie sich nicht mehr, auch wenn die Ladung weiter rutscht.

Unter Vernachlässigung von winzigen Ungleichheiten der Längenänderungen auf beiden Seiten aus geometrischen Ursachen (Fehler 2. Ordnung) werden die einzelnen Kräfte mit Hilfe des Euler’schen Kriteriums in Abhängigkeit von F1 bestimmt. F1 ist hier die größte Kraft, sofern die Ladung nach links rutscht. F5 ist folglich die kleinste Kraft. Es gilt:

Die Faktoren ca bis cd stehen für die Euler’schen Umlenkverluste an den Kanten der Ladungseinheit. Mit der zuvor gefundenen Bestimmungsgleichung für F0 gilt:

Nach F1 aufgelöst erhält man:

Will man von beliebigen, unterschiedlichen Anfangskräften F1 bis F5 direkt auf die Euler’sche Grenzverteilung schließen, die sich nach einer kleinen Ladungsverschiebung einstellt, so kann man den rechnerischen Umweg über die einheitliche Ausgleichskraft F0 vermeiden. Um nachstehend Verwechselungen zwischen den Anfangskräften und den Kräften der Grenzverteilung zu vermeiden, wird für letztere die Kraft im linken Endabschnitt des Gurts mit FL und die Kraft rechts mit FR bezeichnet. Es gelten die Gleichungen:

Mit diesen Gleichungen lassen sich, ausgehend von einer Anfangsverteilung der Gurtkräfte, die sich durch eine bestimmte Position des oder der Spannmittel ergibt, die Euler’sche Grenzverteilung bestimmen und damit die für die Ladungssicherung maßgebenden Kräfte in den beiden Endabschnitten des Gurts.

Die konventionelle Bewertung einer Niederzurrung geht von den anfänglichen Kräften in den Endabschnitten aus und berücksichtigt zudem nur die Vertikalkomponenten dieser Kräfte. Eine realistischere Bewertung berücksichtigt die sich einstellenden Endkräfte der Euler’schen Grenzverteilung und neben deren Vertikalkomponenten auch ihre Horizontalkomponenten.

Auf diese Weise lässt sich schließlich auch der Einfluss der Position des Spannmittels auf die Sicherungswirkung der Niederzurrung realistisch untersuchen.





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