Foto des Monats – Juli 2010
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Ein Segelohr


Foto des Monats - Juli 2010

Abbildung 1  [POLICE DE LA ROUTE LIEGE (B) – Raymond Lausberg]


Bewegt man sich als am Transportwesen interessierte Person auf Europas Straßen, fällt einem unweigerlich ein Fahrzeugtyp besonders auf. Es sind die sogenannten Gardinenzüge oder auch in Neudeutsch Curtainsider genannt. Ihren Namen haben diese Fahrzeuge von der seitlichen Plane bekommen, die sich tatsächlich wie eine Gardine nach vorne oder nach hinten wegschieben lässt. In der Regel lassen sich die Rungen mit wenigen Handgriffen ebenfalls zur Seite wegschieben, und in aller Regel lässt sich das Dach auch noch aufschieben. So sind diese Fahrzeuge sehr schnell ladebereit, können mit dem Kran von oben und mit dem Stapler von der Seite beladen werden. Stört die Plane in irgendeiner Position, wird sie einfach wie eine Gardine zur Seite geschoben. Das schnelle Öffnen des Daches und der Seiten hat in logistischen Abläufen erhebliche Vorteile.

Ladungssicherungstechnisch sind die Vorteile in der Tat begrenzt. Obwohl die Planen, verstärkt durch allerlei Gurte, in der Regel senkrecht, manche sogar waagerecht und senkrecht, versuchen, kräftig und stabil daherzukommen, können sie zwei Nachteilen nicht aus eigener Kraft begegnen. Der erste Nachteil ist die Tatsache, dass sie seitlich wirkende Kräfte mehr oder weniger 90° versetzt aufnehmen müssen, und der zweite Nachteil ist, dass die Kraft, die die Gardinen aufnehmen, irgendwo eingeleitet werden muss.

Das erste Problem ist ein grundlegendes. Ladung, die seitlich beschleunigt wird und sich aus ladungssicherungstechnischen Gründen dann direkt (formschlüssig oder mit minimalsten Lücken) an die seitliche Ladeflächenbegrenzung anlehnen muss, also an die Gardine, trifft rechtwinklig auf dieselbe. Der Effekt, der hier nun zu beobachten ist, wird landläufig auch als der „Nasse-Socken-Effekt“ bezeichnet. Er ist bei jeder Wäscheleine zu beobachten, die mit erheblicher Kraftanstrengung absolut gerade gespannt wurde. Sobald die erste nasse Socke an dieser Wäscheleine hängt, wird diese nach unten ausgelenkt. Eine gerade Wäscheleine bietet einen unendlichen großen Winkel (180°), und somit wird nur eine unendlich kleine Kraft gebraucht, um diese Leine nach unten auszulenken. Sobald die Wäscheleine nach unten ausgelenkt wird, entstehen Winkel (kleiner 180°), und sie kann ihrer Aufgabe (die Socke zu halten) nachkommen. Genauso verhält es sich bei der senkrecht gespannten Plane, an der sich die Ladung aus sicherungstechnischen Gründen anlehnen möchte.

Das zweite Problem stellt sich, wie schon erwähnt, bei der Einleitung der Kräfte in das Dach bzw. in die Ladefläche. Die Spanneinrichtungen an der Plane, die diese mit dem Fahrzeug verbinden, sind vornehmlich dazu geeignet, die Plane zu spannen. Die Aufhängung der Plane am oberen Längsträger des Aufbaus muss die hohen Kräfte aufnehmen. Nur speziell verstärkte Aufbauten sind dazu in der Lage. Viele Fahrzeugaufbauten (Rungen und Längsträger) geben der Last nach, hängen durch und so kann die Plane immer noch weiter zur Seite Ausweichen.

Im hier vorliegenden Fall hat sich nur eine Palette, wahrscheinlich beladen mit Papier, an der Plane angelehnt. Diese war aufgrund des nassen Sockeneffektes in senkrechter Position nicht in der Lage, genug Kraft aufzunehmen. So rutschte die Palette immer weiter und kippte schließlich in die Plane hinein. Jetzt, wo die Beule groß war und die Winkel, wie schön auf Abbildung 1 zu sehen, ein nahezu „ideales“ Kraftdreieck bildete, konnte die Plane der Palette erhebliche Kräfte entgegensetzen. Deutlich ist zu sehen, wie der obere seitliche Längsträger schon von der einen Palette nach unten ausgelenkt wird. Wären mehrere Paletten verrutscht, wäre diese Auslenkung erheblicher gewesen, die Plane hätte sich weiter ausgebeult, der Schwerpunkt der Ladung hätte sich seitlich verschoben und das Ganze dynamisch. Die nicht vorhandene Ladungssicherung hätte ohne weiteres in einem Umsturz des Curtainsiders enden können.


Foto des Monats - Juli 2010

Abbildung 2  [POLICE DE LA ROUTE LIEGE (B) – Raymond Lausberg]


Die Ladungssicherung der mit Papier beladenen Paletten bestand nur aus der Reibung. Der auf der Abbildung 2 zu sehende Gurt sollte nach dem Verrutschen zu Stützungs- bzw. Bergungszwecken eingesetzt werden. Betrachten wir uns die Ladeeinheitenbildung, ist diese zwar nicht vorbildlich, aber immerhin steht die Ladung auf der Palette nicht über; sie bildet keinen Rücksprung, also glatte Seiten rundherum. Als Deckplatte wurde eine Spanplatte eingesetzt, die wahrscheinlich mit Stahlbändern mit der Palette verbunden war. Diese Art der Ladeeinheitenbildung hätte eine effektive Niederzurrung ermöglicht. Die Ladung selbst war fest. Somit hätte der Druck einer Niederzurrung ohne Probleme an die darunter liegende Lage von Paletten weitergegeben werden können. Durch reibungserhöhendes Material wären die allem Anschein nach recht robusten Paletten ohne ausufernde Sicherungserfordernisse, gut durch Niederzurrungen zu sichern gewesen. Kräftige Kantenwinkel an den Ecken der Paletten, horizontal gebändert, hätten die Ladeeinheitenbildung noch weiter perfektioniert.

Ein Wort zur Ausbeulung der Plane sei noch gestattet!
In der Prüfnorm für die Planen steht u. a., dass die Planen zu Testzwecken seitlich mit den entsprechenden Gewichten (in Abhängigkeit der Zuladung) belastet werden müssen, diesen Belastungen eine Zeit x ohne bleibende Verformung standhalten müssen und dabei nur 300 mm ausbeulen dürfen. Ausdrücklich steht in dieser Testnorm, dass diese 300 mm, sprich 30 cm oder auch 0,3 m ausschließlich zu Testzwecken herangezogen werden und nicht wie selbstverständlich zu Ladungssicherungszwecken „missbraucht“ werden dürfen.

Jetzt kommen sogar renommiert Prüfinstitute auf das schmale Brett und testen seit Jahr und Tag Gardinenzüge mit Fahrversuchen und allerlei anderem eindrucksvollem physikalischen Machwerk, und die Ladung darf sich in die Plane legen, beult dabei kräftig aus und kommt (so die Physik will) zumindest teilweise wieder zurück. Diese aus Ladungssicherungszwecken auf diesem Umweg legitimierte „Planenatmung“ ist aber in keiner Prüfnorm hinterlegt. Vielmehr muss man den Konstrukteuren schon erhebliche Anerkennung zuteil werden lassen, dass sie Fahrzeuge entwickelt haben, die erstens die Ladung perfekt vor äußeren Einwirkungen wie Nässe, Schnee, Wind und Wetter schützen und sich dazu noch nach allen Seiten einfach nur wegschieben lassen.

Würde man die pseudolegitimierte Planenatmung schlüssig zu Ende denken, könnte man die Fahrzeuge ja gleich so beladen, dass sie mit einem halben Meter Ausbeulung zu jeder Seite die Ladungssicherungskapazität der Plane bestens ausnutzen. Dies hätte gleich mehrere Vorteile. Die Fahrzeuge würden vielmehr Volumen zur Verfügung stellen, die Plane selbst würde schon eine gewisse Vorspannung und somit auch Ladungssicherung auf die Ladung selbst übertragen und weitere Ladungssicherungsmaßnahmen wären dann sowieso nicht mehr erforderlich.

Aber dem steht die Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) entgegen. Nach § 32 (1) Nr.1 StVZO dürfen Kraftfahrzeuge und Anhänger grundsätzlich nicht breiter als 2,55m sein. Und dies hat während der gesamten Fahrt Gültigkeit, auch in Kurven, wenn Ladung, wie in diesem Beispiel, eine Ausbeulung hervorruft. Zusätzlich steht im Absatz 8, dass auf dieses Maß keine Toleranzen gewährt werden dürfen!
Jetzt könnte man meinen, dass dieses Maß nur das Fahrzeug betrifft. Im vorliegenden Fall sei aber die Breitenüberschreitung durch Ladung verursacht worden. Auch wenn dem so wäre, dann gibt es immer noch die Straßenverkehrsordnung (StVO). Hier wird im § 22 (2) geschrieben, dass Fahrzeug und Ladung zusammen nicht breiter als 2,55m sein dürfen.
Ausnahmen zu den beiden vorgenannten Vorschriften gib es nur, wenn unteilbare Ladung transportiert wird. Dazu sind aber spezielle Erlaubnisse und Ausnahmegenehmigungen erforderlich.

Abschließend gilt es, aus unserer Sicht festzuhalten, dass die Curtainsider in unserem logistischen Netzwerk ihren festen Platz haben, über viele Vorteile verfügen, man aber von ihnen deshalb noch lange nichts Unmögliches verlangen sollte. Weil die Planen sich so wunderbar zur Seite schieben lassen, kann man auch einigermaßen bequem vernünftige Ladungssicherungsmaßnahmen durchführen.

Wie wir in unserem Beispiel gesehen haben, eignet sich die Ladung hervorragend für eine Niederzurrung und ob der stabilen Ladeeinheiten hätten auch reibungserhöhende Mittel ihre Wirkung entfalten können. Erwähnt werden soll auch, dass es Curtainsiderfahrzeuge gibt, die verstärkte Dächer, Rungen und kräftige Einstecklatten haben, die definierten seitlichen Druck aufnehmen können, und diesen in Rungen, Dach und Fahrzeugboden weiterleiten und somit ein stabiles Konstrukt bieten. Diese Fahrzeuge sind etwas teurer und die Einstecklatten müssen händisch bewegt werden. Die Fahrzeugindustrie hat fast für jedes Problem eine adäquate Lösung. Nur hat sie die eierlegende Wollmilchsau noch nicht erfunden.




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